Den romantischen Beethoven hinter sich lassen
Beethovens Fünfte ist die bekannteste aller Symphonien. Sie steht morgen auf dem Programm des ersten Abo-Konzerts der Saison des Münchener Kammerorchesters (MKO) im Prinzregententheater, die unter dem Motto "Furor" steht. Enrico Onofri, einer der drei "Associated Conductors" des Orchesters, dirigiert.
AZ: Herr Onofri, das zweite Hauptwerk des Programms neben Beethovens Fünfter ist die "Ode to Napoleon Buonaparte" von Arnold Schönberg. Was verbindet beide Stücke?
ENRICO ONOFRI: Schönberg zitiert das "Tatata-Taa" des erstens Satzes der Symphonie in seinem Werk - zusammen mit der Marseillaise. Der von ihm 1942 unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs vertonte Text von Lord Byron formuliert eine sehr heftige Ablehnung der Tyrannei und ein Bekenntnis zur Demokratie. Beethovens Symphonie bezieht sich - vor allem im letzten Satz auf die Musik der Französischen Revolution. Einem später hymnisch gesteigerten Rhythmus der Bläser im Finale lassen sich die Worte "La Liberté" unterlegen.
Die Fünfte gilt als Inbegriff von Beethovens Musik. Und weil sie so berühmt ist, gilt sie als abgedroschen, weshalb man sie gar nicht so oft hört.
Wir versuchen, die romantische Sicht auf Beethoven hinter uns zu lassen und sie aus der Musik ihrer Zeit heraus zu verstehen. Das Münchener Kammerorchester spielt nicht im strengen Sinn historisch informiert, aber mit Blechblasinstrumenten und Pauken älterer Bauart. Außerdem hat die romantische Idee einer "Schicksalssymphonie" dazu geführt, den ersten Satz zu verlangsamen. Aus der Perspektive der Musik des 17. oder 18. Jahrhunderts ist das "Tatata-Taa" ein typischer und auch etwas simpler Rhythmus, mit dem eine Fuge beginnt. Beethoven zitiert den Anfang eines kontrapunktischen Stücks, macht aber etwas ganz anderes daraus. Er steht mit beiden Beinen in der Wiener Klassik, entwickelt deren Elemente aber weiter. Und das möchte ich hörbar machen.
Es scheint mir, als scheuten viele Dirigenten die volle Emphase des letzten Satzes durch eine gebremstes Tempo.
Das liegt an Beethovens Metronom-Angabe. Die sind meistens schneller, als man es erwarten würde und bisweilen auch unspielbar - nur hier nicht. Das Finale ist vom Tempo her eher getragen. Die Kunst ist. den revolutionären Siegesgesang nicht zu schwer und pathetisch klingen zu lassen. Auch hier geht es darum, eine Mitte zu finden und den Vorwärtsdrang der Musik hörbar zu machen. Und ich denke, dass das Finale mit einem langsameren Tempo auch intensiver wirkt.
Dass es in diesem Konzert auch zwei Lieder von Hans Eisler und Kurt Weill gibt, ist nicht überraschend, wenn der österreichische Chansonier HK Gruber als Sprecher der "Ode an Napoleon" mitwirkt. Wie passt aber Gioachino Rossini in das Programm?
Das hat mit "Furor", dem Motto unserer Spielzeit zu tun. Zum Furor gehört auch Ärger und schlechte Laune, was man in Bayern "Grant" nennt. Der spielt in Rossinis "La Cenerentola" eine große Rolle, wenn sie an Aschenputtels Vater Don Magnifico und die beiden Schwestern denken. Das andere Stück, die Sonata Nr. 1, komponierte Rossini im Alter von 14 Jahren für seine Freunde, und zwar, wie er in einem Brief schreibt, so schwer wie möglich, um sie zu ärgern. Und natürlich sollen diese Stücke auch einen Kontrast zum Rest des Abends bilden.
Das MKO hat die Position des Chefdirigenten auf drei "Associated Conductors" aufgeteilt. Was spricht für dieses Modell?
Viel. Das Münchener Kammerorchester hat eine starke eigene Persönlichkeit. Es ist sehr flexibel. Man kann sich mit den Musikerinnen und Musikern gleich um die Werke kümmern und muss nicht vorher alles umkrempeln. Außerdem kann die Abwechslung auch menschlich befruchtender sein wie eine 10-jährige Chefdirigenten-Ära. Das Orchestre national Auvergne-Rhône-Alpes hat ein ähnliches Modell: Ich leite es gemeinsam mit Christian Zacharias und Thomas Zehetmair. Nach meinem Eindruck sorgt auch dort die Dreier-Lösung für viel Frische beim Musikmachen.
Sie haben als Geiger begonnen. Warum haben Sie sich für das Dirigieren entschieden?
Historisch gesehen hat sich - zumindest in Italien - die Rolle des Dirigenten aus dem Konzertmeister entwickelt, der die Stücke mit seinen Kollegen angespielt hat und dann mit dem Bogen den Takt geschlagen hat. Mein Weg verlief ähnlich. Irgendwann dachte ich, dass es besser ist, die Geige beiseitezulegen und meine Ideen zur Aufführung eines Stücks als Dirigent zu vermitteln.
Sie kommen von der Alten Musik. Haben Sie vor der Zusammenarbeit mit dem MKO auch schon Neue Musik dirigiert?
Etwa seit zehn Jahren. Heute sind die Grenzen fließender. Die meisten Musikerinnen und Musiker, die Alte Musik aufführen, interessieren sich auch für Musik der Gegenwart. Außerdem haben viele Werke einen starken Traditionsbezug: wie etwa Ligetis Violinkonzert mit einer Passacaglia und anderen barocken Formen.
Mit welchen Stücken brechen Sie im Rest der Saison noch in Furor aus?
Im Juni dirigiere ich das Violinkonzert von Bryce Dessner, ein sehr furioses Stück. Und Beethovens "Eroica". Davor gibt es die Ouvertüre zu einer Oper über eine wütende Frau: Cherubinis "Medea".
Prinzregententheater, Donnerstag 19. Oktober, 20 Uhr. Infos zur Saison und den Abo-Konzerten des Münchener Kammerorchesters online unter www.m-k-o.eu