Das Zwölfton-Wunderkind
Die Welt ist voller Wunder. Aber 14-Jährige, die Arnold Schönbergs zwölftöniges Klavierkonzert spielen, sind doch vergleichsweise selten. Während man noch staunend dem Programmheft entnimmt, dass Tsotne Zedginidze schon im Alter von fünf Jahren den Klavierauszug von Alban Bergs "Lulu" beherrscht haben soll, beginnt der junge Georgier auch schon das einsätzige, ziemlich sperrige Werk. Zedginidze betont mit flüssig-kantablem Duktus die lyrische Seite der Musik. Die spezifische Charakteristik der vier - vermutlich die Erfahrung des Exils autobiografisch darstellenden - Abschnitte hätte noch deutlicher werden können. Aber das bekommen auch ältere und berühmtere Pianisten nicht schon beim ersten Mal hin.

Auch die Begleitung war vom Feinsten: Es spielte das durch eine Handvoll Musikerinnen und Musiker aus dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks verstärkte Bayerische Landesjugendorchester unter Simon Rattle. Dabei gelang das Kunststück, die ziemlich stachelige Musik transparent darzustellen, ohne ihre Fremdheit zu glätten. Naturgemäß sind Prognosen bei Wunderkindern gefährlich. Aber von Tsotne Zedginidze wird man sicher auch weiterhin hören - denn er spielt intelligent und neugierig Klavier.
Laut und intensiv
Davor verwandelte das Landesjugendorchester den Ragtime von Paul Hindemith in einen frühen Prokofjew der knalligeren Art. Aber das war offenbar notwendig, um bei Schönberg zu mehr Ruhe zu kommen. Anschließend gelang noch eine mitreißende Aufführung von Gustav Mahlers Symphonie Nr. 1, bei der zwar die Wände des Herkulessaals wackelten, ohne dass die Musik dumpf und übersteuert wirkte, was durchaus ein Kunststück ist. Die Naturlaute des Anfangs wurden sehr direkt, geheimnislos und auch zu laut gespielt. Rattle gelang es aber, die jugendorchestertypische Unbändigkeit zu kontrollieren und geschickt in eine vitale Deutung der Symphonie zu integrieren. Im Mittelteil des zweiten Satzes und im dritten Satz stellte sich die doppelbödige Ironie ein. Das losbrechende Finale lag dem Landesjugendorchester naturgemäß am Besten: Rattle disponierte die Steigerungen perfekt. Und den von der Bratschengruppe mit Wut gespielten Themenkopf am Beginn der Coda muss man einmal von einem Jugendorchester gehört haben - das wagen Profis nie so ruppig.
Frühere Chefdirigenten des BR-Symphonieorchesters haben Jahre gebraucht, bis sie sich zu einem Auftritt mit dem Bayerischen Landesjugendorchester durchringen konnten. Für Simon Rattle ist derlei keine lästige Pflicht. Es scheint ihm ungeheuren Spaß zu machen. Und da kann man nur hoffen, dass das so bleibt.