Das zweite Konzert des Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons

Gegen die Windmühlenflügel: Das zweite Konzert des Boston Symphony Orchestra bei den Salzburger Festspielen
von  Michael Bastian Weiß

Sehnsüchtig singt das Solocello eine Kantilene, die dann in einem liebenswürdigen Grazioso endet. Yo-Yo Ma wird hier körperlich eins mit seinem Instrument. Doch zunehmend unwirsch antwortet die Bratsche, Steven Ansell, der Solist der Bostoner, schiebt grimmig die Unterlippe nach vorn. Zu vermitteln sucht der mild lächelnde Konzertmeister. Und Andris Nelsons stützt sich ständig mit der linken Hand auf der Rückwand seines Dirigentenpodests auf, damit er seinen Kopf noch tiefer zwischen die Köpfe der Musiker stecken kann.

Gemeinsam wird hier in Richard Strauss’ „Don Quixote“ nicht nur feinste Kammermusik gemacht, sondern, auch mimisch, eine echte Szene aufgeführt. All dies steht genau so in der Partitur, wenngleich der Komponist selbst ursprünglich eher damit rechnete, dass all diese Soli von orchestereigenen Musikern ausgeführt werden. Hat man aber einen Yo-Yo Ma, dann wird aus Strauss’ wohl schwierigster Tondichtung ein veritables Violoncellokonzert, selbst, wenn er mit dem Orchester in einen echten gleichberechtigten Dialog tritt.

Klangliche Feinjustierung

Mit einem fast expressionistisch schluchzenden Vibrato und nie nachlassender Intensität, oft unter Verzicht auf Tonschönheit, rennt Ma gegen die orchestralen Windmühlenflügel an. Er kämpft einen existenziellen Ringen bis hin zum geradezu naturalistisch interpretierten Tod des Ritters.

Das hat mehr von zeitgenössischer Musik als vom ausgehenden 19. Jahrhundert: eine wahrlich entgrenzende Interpretation. Allein die hellwache solistische Kommunikation zeigt die hohe Qualität des Boston Symphony Orchestras, das mit seinem neuen Chef Andris Nelsons das erste Mal seit acht Jahren wieder auf Europa-Tournee geht.

Lesen Sie hier unsere Kritik zum ersten Konzert

Nelsons, der Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 10 bis zum letzten Ton mit Sinn erfüllt, wird freilich aber auch noch an der klanglichen Feinjustierung des traditionsreichen Ensembles arbeiten können. Entgegen der Klischees vom amerikanischen Perfektionismus präsentieren sich die Bostoner zwar als sehr geschlossen, doch letztlich als uneinheitlich attraktiv in den einzelnen Gruppen. Die Hörner etwa bleiben – vergleichsweise – eher blass. Die Streicher sind klar konturiert, doch sinnlich eher neutral, das Schlagzeug nobel, vielleicht zu nobel. So stechen einzelne Gruppen heraus, etwa die frechen, knarzigen Fagotte im Holzbläserapparat, auch die elegischen Flöten, die solistische Tenortuba von Mike Roylance.

Für europäische Ohren gewöhnungsbedürftig sind die Trompeten und Posaunen, die ein gnadenlos knalliges Staccato pflegen. Dies ist für Schostakowitsch sicherlich angemessen. Wirklich perfekt aber ist ein Orchester erst dann, wenn sich der Hörer kaum entscheiden kann, auf welche Wunder in welcher Gruppe er zuerst hören möchte.

 

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