Das Münchener Kammerorchester ehrt Hape Kerkeling

Diese Sängerin kann wirklich alles: halsbrecherische Koloraturen singen, sprechen, glucksen, gurgeln, die Stimme alt klingen lassen und in der nächsten Sekunde ganz jung. Das ist so lange höchster Bewunderung wert, so lange nicht ein Komponist beschließt, alle diese Techniken in einen dieser Künstlerin gewidmeten Liederzyklus zu stopfen.
Enno Poppes kraftvollen, die Extreme liebenden Stil kam die Kunst der Sarah Maria Sun allzusehr entgegen. Der 25-teilige Zyklus "Augen" hat zwar den Vorzug, dank heftiger Kontraste und extremer Kürze nie zu langweilen. Aber die Häufung von Effekten wirkt in Kombination mit Brettl-Effekten nach einiger Zeit wie eine Parodie. So ist es nicht verwunderlich, dass sich eine Besucherin des 3. Abokonzerts des Münchener Kammerorchesters dazu berufen fühlte, den 60. Geburtstag von Hape Kerkeling durch ein lautes "Hurz" nachträglich zu ehren - in Erinnerung an dessen unsterbliche Liederabend-Satire.
Unverständlicher Text
Es gereicht "Augen" auch nicht unbedingt zum Vorteil, dass dieser Zyklus in seiner Neigung zur illustrativen Verdopplung exzentrischer Sprachbilder durch eine zappelige Sängerin auffallend an Arnold Schönbergs "Pierrot lunaire" erinnert. Und wie in einer mittleren Aufführung dieses Klassikers verstand man auch kaum ein Wort der Texte von Else Lasker-Schüler, die Poppes Zyklus zugrundeliegen.
Die "Pierrot"-Assoziation schien auch der Dirigent Bas Wiegers zu teilen: Er kombinierte "Augen" mit Anton Weberns schwelgerischem "Langsamen Satz" für Streicher und einer Suite aus Alban Bergs "Lulu", die Eberhard Kloke für Kammerorchester eingerichtet hat. Die klingt so wenig nach Bearbeitung wie Klokes eingedampfter "Wozzeck". Und mit dem Original verbindet diese neue "Lulu"-Suite einen leicht grauen Sound, wenn sie nicht mit allerletzter Hingabe und Emotion gespielt wird.
Zu lautes Orchester
Trotz der Verkleinerung des Apparats deckte das Münchener Kammerorchester im "Lied der Lulu" immer wieder Sarah Maria Sun zu. Dann dunkelte die Sängerin sehr virtuos die Stimme ein, um im Finale auch noch in die Gräfin Geschwitz darzustellen. Eine wirkliche Reduktion gegenüber Bergs eigener Kompakt-Fassung bedeutet Klokes Fassung auch nicht, weil sie am Ende noch einen Bariton (Harald Hieronymus Hein) für Jack the Ripper erfordert, der aber sonst nichts singen darf.
Am Anfang stand Heinrich Ignaz Franz Bibers kurze Serenade "Der Nachtwächter", dem zwischendrin auch das nicht deaktivierte Navi eines Besuchers den Weg wies. Dieser exzentrische Salzburger wird - im Unterschied zu Bergs "Lulu" und Mozart - außerhalb spezialisierter Zirkel wirklich zu selten gespielt. Und so schien es, als wäre der Rückgriff auf die ältere Barockmusik aufschlussreicher als die Appretur einer Repertoireoper für Kammerorchesterkonzerte. Oder die Rekomposition von "Pierrot lunaire".