Das Internetphänomen diesmal live: Hayato Sumino "Cateen" im Prinzregententheater

Schon am Publikum merkt man, dass etwas anders ist an diesem Konzertabend. Viele, viele junge Leute strömen ins Prinzregententheater. Fruchten also endlich die zahllosen Versuche, die nachkommenden Generationen ins klassische Konzert zu locken?
Vielleicht. Vor allem aber ist Hayato Sumino alias Cateen durch seine Präsenz im Internet bekannt geworden. Sagenhafte anderthalb Millionen Abonnenten seines Kanals verfolgen dort die Posts des japanischen Pianisten. Die ausverkauften Solotourneen und ein Plattenvertrag scheinen da wie Selbstläufer.
Live ist live: da wird alles offenbar
Das Schöne an klassischen Konzerten ist, dass nicht, wie im Video, geschnitten und sonstwie manipuliert werden kann. Hayato Sumino muss alle die Noten der Partita Nr. 2 c-moll von Johann Sebastian Bach auch tatsächlich spielen. Und er tut dies, ausgezeichnet. Sein Ton ist rund und vornehm geschlossen, sein Anschlag kräftig, sein Spiel gleichmäßig und flächig. Statt zu empfindeln und zu verzärteln, führt er die Stimmen entschlossen und entwickelt einen angenehm geraden Zug nach vorn, stellt Zusammenhang her, gibt den einzelnen Tanzsätzen eine Richtung.
In der Sonate Nr. 5 von Alexander Skrjabin kommen ein enormer Klangsinn und eine ruhige, souveräne Virtuosität dazu - immerhin hatte Hayato Sumino beim supertollen Chopin-Wettbewerb in Warschau das Halbfinale erreicht.
Ein Hang zum Crossover: Da verkauft er sich unter Wert
Angehörs solcher Möglichkeiten darf man es ein wenig bedauern, dass der noch nicht 30-Jährige einen derart ausgeprägten Hang zum Crossover-Repertoire hat. Für einen erfrischenden Ausflug in das Reich des Salons und des Ragtimes hätten die fünf ausgewählten Etüden des russischen Jazzers Nikolai Kapustin ausgereicht. Cateen aber präsentiert auch viel Selbstgemachtes, darunter drei Nocturnes und "Human Universe", Werke, die alle so wirken, als würde Richard Clayderman heute über Soundtracks aus Filmromanzen improvisieren.

Ob man das mag (wie viele Leute im Publikum) oder nicht (wie der Rezensent), ist Privatsache. Dass Hayato Sumino hier aber kaum zeigen kann, was er kann, etwa eine längere harmonische Entwicklung zu verfolgen wie bei Bach oder Kontraste gegeneinander auszubalancieren wie bei Skrjabin, ist ein sachlicher Grund, sich mehr Konzentration auf seriöse Werke zu wünschen.
Dann kam Ravels "Bolero" - Wahnsinn!
Was aber wiederum alle Hörerinnen und Hörer sprachlos zurücklässt, ist die finale Shownummer: Cateens eigene Bearbeitung des "Boléro" von Maurice Ravel. Er beginnt ihn auf dem zweiten Instrument, das er sich neben dem Steinway-Flügel leistet, einem Klavier, mit dem er schon die Sarabande aus Bachs Partita zu einer Traumvision gemacht hatte. Tatsächlich gelingt ihm in Ravels Instrumentationsetüde das Kunststück, den berüchtigten Trommelrhythmus nicht nur täuschend echt zu simulieren, sondern auch gegen die anderen quasi-orchestralen Schichten durchzuhalten. Junge und nicht mehr ganz so junge Leute brechen da zu recht in frenetischen Jubel aus. Hayato Sumino genießt ihn - bescheiden. Eine solche unmittelbare Verbindung zum Publikum gibt es halt im Internet nicht. Nur im Konzert.