Das große Mahler-Duell
Die Münchner Philharmoniker und das Bayerische Staatsorchester spielen Gustav Mahlers Symphonie Nr. 5
MÜNCHEN - Unsere Stadt ist groß genug für vier Aufführungen von Mahlers Fünfter. Freitag und Samstag spielten die Münchner Philharmoniker unter Semyon Bychkov in der Philharmonie, Montag und Dienstag das Bayerische Staatsorchester unter Kirill Petrenko im ausverkauften Nationaltheater. Auch der Gasteig war voll besetzt, obwohl der Bildungsbürger die Pfingstzeit oft in Italien zu verbringt.
Bei den Philharmonikern gab es vor der Mahler-Symphonie „Francesca da Rimini“ von Tschaikowsky. Bychkov ließ dieses Stück satt und kraftvoll spielen, was wiederum zu den Lebensstürmen des zweiten Satzes bei Mahler passt.
Bei der Konkurrenz brachte der Differenzierungskünstler und Akribiker Petrenko Mahler mit Rachmaninows „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ zusammen. Dafür spricht viel, wenn man diesen Komponisten so ernst nimmt, wie es Petrenko und sein Solist Igor Levit machen. Der Dirigent arbeitete mit dem Staatsorchester die Finessen der Instrumentation heraus, Levit betonte leichthändig souverän das Spielerisch-Spritzige dieser Musik.
Kein Krachmaninow
Dem emotionalen Schwung der 18. Variation gaben Petrenko und Levit eine aufschäumende Heftigkeit, die ihr das Billig-Sentimentale raubte: Sie spielten Rachmaninow und nicht „Krachmaninow“. Wenn es dann wirklich laut wird, haben die Ausbrüche apokalyptische Kraft, die dieser verspäteten Fin-de-Siécle-Musik angemessen ist, die am Ende finster-drohend das „Dies irae“ zitiert.
Als Vermittlung zwischen Rachmaninow und Mahler spielte Levit ganz zart Franz Liszts Klavierbearbeitung des Liebestods aus Wagners „Tristan“, auf den Mahler im Adagietto seiner Symphonie anspielt. Hier, nur beim Adagietto trafen sich Bychkov und Petrenko: Beide Dirigenten raubten diesem Satz mit vergleichsweise raschem Tempo die Klebrigkeit. Sie ließen es als schlichtes Liebeslied spielen – wofür viel spricht. Aber das war die einzige Gemeinsamkeit.
Die Philharmoniker sind im Normalfall das bessere Konzertorchester – mit einem unverwechselbar warmen Klang, individuellen Bläser-Solisten und einer unübertrefflichen Horngruppe. Aber diese Fähigkeiten muss ein Dirigent auch fordern, wozu sich Bychkov leider nicht entschloss. Sein Mahler bleibt ohne Zwischentöne, effektvoll wie ein mittlerer Tschaikowsky.
Handwerk und Kunst
Nicht schlecht und handwerklich solide – aber eine Enttäuschung, wenn man danach das Staatsorchester unter Petrenko hört! Der Bayerische Generalmusikdirektor und designierte Chef der Berliner Philharmoniker macht durch längere Zäsuren zuerst die drei Abschnitte der fünfsätzigen Partitur deutlich: Der zweite Satz „Stürmisch bewegt“ folgt nach kurzer Atempause auf den Trauermarsch.
Petrenko setzt das Tempo der Sätze deutlich voneinander ab und macht die Anweisung „Mit größter Vehemenz“ sinnlich wahrnehmbar, wo die Philharmoniker unter Bychkov einfach nur Vollgas spielen. Wenn die Hornisten des Staatsorchesters die Instrumente heben, schwingt etwas Bedrohliches im Klang mit. Der Erlösung aus dem symphonischen Konflikt versprechende Choral bricht eher trügerisch, schneidend und heftig ein, das Scherzo zieht in der Heiterkeit finstere Grimassen. In allen lyrischen Passagen schwingt Trauer mit, die finale Lustigkeit der Symphonie bleibt doppelbödig.
Mit mehr Finesse
Das alles wirkt, wenn man dem Staatsorchester zuhört, recht einfach: Mahlers dynamisch Vorschriften und Vortragsanweisungen werden exakt ausgeführt, wo die Münchner Philharmoniker – die es auch anders könnten - drauflosspielen, weil der Dirigent keine Finessen abverlangt.
Bei aller plastischen Deutlichkeit wird Petrenko nie pedantisch überdeutlich. Bychkov macht effektvoll Musik, Kollege Petrenko erzählt mit dem Staatsorchester vom Leben: eine Geschichte voller Trauer, Bitternis und Liebe, die in Überschwang mündet, der so groß wirkt, dass die Reue absehbar ist. Und das ist so interessant, um einen gewöhnlichen Pfingsturlaub im Süden aufzuwiegen.