Das Electric Light Orchestra ELO
Eigentlich passen diese beiden überhaupt nicht zusammen. Er: einer, der genau weiß, was er will. Sie: die Schwierige, an der schon viele verzweifelt sind. Er: der audiophile Meister des Sound. Sie: die Arena mit der Akustik des Schreckens. Er: Großproduzent Jeff Lynne. Sie: die Münchner Olympiahalle.
Lynne tritt mit seinem Electric Light Orchestra in einer Arena auf, die für Turnen oder Handball konzipiert wurde, nicht für eine 13-köpfige, feinjustierte Band – aber es gibt in München halt keine Alternative für Popkonzerte dieser Größenordnung.
Wie das wohl klingen wird? Dem Sänger im Vorprogramm schadet die verwaschene Akustik zumindest noch vergleichsweise wenig: Der kompakte Sound des jungen Briten Billy Lockett, der mal im Trio, mal solo am E-Piano spielt, kommt in der hallreichen Halle recht wuchtig daher. Mit seinem gewinnenden Wesen und seinen modern-eingängigen, kommerziell aussichtsreichen Songs begeistert er das Publikum, wie das nur wenige Support Acts schaffen.
Großkaliber
Die Hintergrundmusik während der Umbaupause macht dann deutlich, welches Großkaliber ihm gleich auf die Bühne folgen wird. Da läuft Tom Pettys „I Won’t Back Down“, George Harrisons „Got My Mind Set On You“, Roy Orbisons „You Got It“: All diese Stücke hat Jeff Lynne produziert, in seinem stets ähnlichen Soundgewand, das einfach allen Künstlern passt. Sogar den Beatles, die ebenfalls zu hören sind: mit ihrer 90er-Comeback-Nummer „Free As A Bird“, deren Produktion sie Jeff Lynne anvertrauten.
Der huscht dann unauffällig mit seinen zwölf Musikern auf die Bühne. „Jeff Lynne’s ELO“ nennt er die Band mittlerweile. Der Name des 70-Jährigen ist wohl zu berühmt geworden, um ihn zu verschweigen, außerdem muss betont werden, dass hier das Original auf Tour ist. Ehemalige Mitglieder gingen mit den ELO-Songs auf Tour, dabei ist diese Musik einzig und allein sein Werk: die Kompositionen, die Arrangements, die Plattenproduktionen.
Und fast genauso wie auf Platte spielt die Band sie auch heute Abend, diese verblüffend paradoxe Popmusik. Sie ist einerseits extrem komplex, ja britisch-exzentrisch: mit ständigen Schnörkeln und Schlenkern, mit Tempowechseln und ungewöhnlichen Akkorden, mit echten und Synthie-Streichern, mit ebenso ausgefeilten wie bombastischen Arrangements für 13 Personen, die die Selbstbezeichnung als „Orchester“ absolut rechtfertigen.
Doch sie ist andererseits eben auch: maximal eingängig. Deshalb laufen ELO-Songs seit über vierzig Jahren im Radio rauf und runter.
Man wünscht, in einem anderen Saal zu sein
Doch das Üppige dieser Arrangements, das im komprimierten Radiosound fast untergeht, entfaltet erst live seine volle barocke Pracht. Bei „Livin’ Thing“ merkt man erst, wie effektiv Lynne die einzelnen Elemente einsetzt: hier drei Streicherinnen, dort die Backgroundsänger, dazwischen das Klavier. Das Publikum in der ausverkauften Arena ist völlig euphorisch, wie bei vielen Stücken. Keine Note ist hier improvisiert – vom „Roll Over Beethoven“-Gitarren-Jam in der Zugabe abgesehen –, die 13 Musiker spielen die minutiös ausgetüftelten Arrangements auf den Punkt, und das entfaltet große Wirkung.
Doch gerade deshalb wünscht man sich, in einem anderen Saal zu sein – denn manches verschwimmt im Hall der Halle. Der Sound ist zwar verhältnismäßig ordentlich, doch eben weit entfernt von der großartigen Transparenz, von der bei anderen Deutschlandkonzerten berichtet wurde, gerade bei den lauteren, rockigeren Songs. Er hätte besseres verdient, dieser freundliche, sehr zurückhaltende Großproduzent, der auf der Bühne wenig spricht und sogar seine rechte Hand, seinen Musical Director Mike Stevens, die Band vorstellen lässt. Aber der Abend macht trotzdem großen Spaß, mit all diesen bombastischen Songs, die nur in den größenwahnsinnigen Pop-Siebzigern entstehen konnten.
Zwei Lieder aus späteren Jahrzehnten sind besonders berührend: Auf „When I Was Boy“ vom letzten ELO-Album von 2015 – das Jeff Lynne allein aufgenommen hatte – singt er, wie er als Junge einer armen Familie in Birmingham davon träumte, Musiker zu werden. Wohin ihn dieser Traum führte, zeigt das Stück, das er als „Song meiner anderen Band“ ankündigt: „Handle With Care“ von den Traveling Wilburys. Auf der Großleinwand sind Bilder der Kollegen zu sehen, mit denen er in dieser Superstar-Combo spielte: George Harrison, Bob Dylan, Roy Orbison und Tom Petty. Derweil imitieren Lynnes Musiker deren Parts, von Orbisons Tenor bis zu Harrisons Slide-Gitarre. Nur die Bob Dylan-Harmonika säuft ab, hier in der Olympiahalle.
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