Dankeschön und Bitteschön
Er steht nur da, während sie singen, nein, schreien: „Wir war’n geboren um zu leben / mit den Wundern jener Zeit / sich niemals zu vergessen / bis in alle Ewigkeit.“ Ein Chor von 15 000 Menschen, die Arme in der Luft, und über ihnen der Graf, Sänger der Band Unheilig, das Staunen im Gesicht. Es ist das letzte Konzert seiner Tournee „Lichter der Stadt“. Demütig neigt er das Haupt vor dem Erfolg, spielt den Überraschten, wenn vor der Bühne auf dem Messegelände in Riem laut gejubelt wird.
Den Fans gefällt diese gegenseitige Wertschätzung, sie rufen höflich „Bitteschön“ nach jedem „Dankeschön“, das von der Bühne kommt. Überhaupt ist vieles an diesem Abend schön, wie der Graf bemerkt: „Schönes Wetter, schöne Location, schönes Publikum!“. Es ist ein nettes Konzert.
Vor zehn Jahren waren Unheilig noch in der Gothic-Rock-Szene zuhause. Dann kam der Erfolg mit der Single „Geboren um zu leben“. Seitdem ist der Graf, der bürgerlich möglicherweise Bernd Graf heißt, für alle da. Auch für Kinder, die auf seinen Konzerten im „unheiligen Kinderland“ basteln und klettern können und freien Eintritt haben, wenn sie unter zehn sind. Es stehen dann auch viele Familien vor der Bühne, sie kampieren zwischen Rucksäcken auf Unheilig-Handtüchern. Und weil sie lange auf den Grafen warten müssen, essen manche noch Leibniz-Butterkekse.
Vier Stunden nach Einlass, die Vorbands Staubkind und Andreas Bourani haben gesungen, tritt das Phänomen der deutschen Pop- und Rockszene auf. Schwarze Hose, weißes Hemd, Krawatte. Er rennt zwischen Reihen weißer Altarkerzen auf den Steg, sein Körper zuckt zum rhythmischen Klatschen der Fans. Halb lässt er sich rückwärts fallen, die Füße rammen dabei den Takt, die Stimme röhrt: „Alles dreht sich, alles bewegt sich“.
In „Herzwerk“ und den anderen Songs vom Album „Lichter der Stadt“ hat der Graf seinen Erfolg verarbeitet und sich dabei als staunenden Menschen inszeniert. Auf Leinwänden sieht man ihn mit einem Notizbuch durch Straßen laufen, „ich schenke den Träumen Zeit, / ich ordne meine Welt“.
Das ist alles nachvollziehbar und menschlich und auch banal. „Ohne Dich wär ich nicht“, singt ein Junge neben seinem Vater – wie wahr. Der Song „Unter Deiner Flagge“ ist wie andere an diesem Abend vom vorletzten Album „Große Freiheit“. Irgendwann sitzen zehn Kinder aus München auf der Bühne und wiegen zu Keyboardklängen die Arme von links nach rechts. Danach kommt mit Songs wie „Feuerland“ oder „Eisenmann“ irgendwie ein bisschen Böses zwischen all das Gute.
Der Graf für jeden: Er läuft über die Bühne, sucht an der Rampe Kontakt, verneigt sich, während ihm der Schweiß über das Gesicht läuft. Vier Zugaben, da tönt das Publikum längst in Chören „Oh, wie ist das schön“. Der Graf staunt.