Daniele Rustioni dirigiert Prokofjew und Schostakowitsch
In der Musik ist die Idee nationaler Schulen immer noch gegenwärtig. Russen dirigieren Russisches, von Deutschen und Österreichern wird Brahms, Beethoven oder Bruckner erwartet. Und die Italiener gelten naturgemäß als Experten für italienische Oper.
Da überrascht es durchaus, wenn Daniele Rustioni, der im Nationaltheater bereits Vorstellungen von Puccinis „Butterfly“ und Verdis „Rigoletto“ geleitet hat, für sein Konzertdebüt in der Musikalischen Akademie des Bayerischen Staatsorchesters ausgerechnet das zweite Violinkonzert von Sergej Prokofjew und die Symphonie Nr. 7 von Dmitri Schostakowitsch auswählt.
Beide Werke stehen außerdem im Ruf einer gewissen Zweitklassigkeit. Aber das kann eine gute Aufführung jederzeit ändern, wie Rustioni bewies. Bei Prokofjew konzentrierte er sich jenseits des Kerngeschäfts der Solistenbegleitung auf die subtilen instrumentalen Farbmischungen. Der Geiger Vadim Gluzman schwebte darüber mit der bei dieser Musik angemessenen stählernen Süße und steigerte sich im Finale in ein sehr diszipliniertes Furioso hinein.
Als Anton Bruckner der KPdSU beitrat
Das war vom Solisten her gut, vom Dirigenten her aber doch noch eine Spur besser. Schostakowitschs Siebte, die „Leningrader“, bietet ein riesiges Orchester inklusive Extra-Blech auf. Der erste Satz schildert – je nach Deutung – entweder den deutschen Überfall auf die Sowjetunion oder den allgemeinen Angriff der Dummheit auf die menschliche Zivilisation. Dazu wird 20 Minuten lang das ins Ordinäre gewendete Motiv „Heut’ geh’ ich ins Maxim“ aus Franz Lehàrs „Lustiger Witwe“ – ähnlich wie in Ravels „Bolero“ –zu ohrenbetäubendem Krach gesteigert, bis die Wände wackeln.
Das Staatsorchester hantierte mit dem Gehörschutz nicht minder effizient wie mit Schattierungen zwischen dreifachem Pianissimo bis zum vierfachen Fortissimo. Aber Lautstärke ist nicht alles: Man sollte trotz Schalldruck auch noch hören, was passiert. Und das geschah: Der Lärm stand in wirkungsvollem Gegensatz zu in Halbschatten gesetzten elegischen Passagen.
Denn nur wer auch leise spielen kann, kriegt ein echtes Fortissimo hin. Im zweiten Satz dann eine brutale Groteske, im dritten weihevolle, von Getöse gestörte Ruhe. Dann klingt die Musik verdächtig nach dem Stalin-Porträt aus der Zehnten. Bombastische Fanfaren kündigen ein Ereignis an, das letztlich nie eintritt. Stattdessen blasen Posaunen über einer Schichtung mehrerer Themen einen sozialistisch-realistischen Choral, als sei Bruckner in die KPdSU eingetreten.
Die „Leningrader“ ist kein Stück, das man öfter als alle zehn Jahre wirklich braucht. Aber wenn es gespielt wird – dann bitte so überwältigend und zugleich mit einem solchen Reichtum an Zwischentönen.