Kritik

Daniele Gatti dirigiert Verdis "Requiem"

Ein Fest der Genauigkeit mit den Münchner Philharmonikern und dem Philharmonischen Chor
Robert Braunmüller
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Daniele Gatti.
Daniele Gatti. © Tobias Hase/mphil

Trägt man zum Frack nicht Hosenträger? Daniele Gatti offenbar nicht. Bald nach Beginn von Giuseppe Verdis "Requiem" lugte ein Fragment seines Gürtels wie ein Schwänzchen zwischen den Frackschößen hervor und macht auch immer wieder das Hemd sichtbar. Ein solcher modischer Fauxpas wäre nicht der Erwähnung wert, würde er nicht - wie jedes Unglück - den Blick geradezu zwanghaft anziehen: Man kann gar nicht anders als hinschauen, auch wenn sich Gatti hin und wieder ans Geländer des Podiums lehnte, um den widerstrebenden Gürtel zu bändigen.

Der hier Berichtende hatte zur Ablenkung eine Partitur dabei. Und der Blick in die Noten bewies, was sich bereits in den ersten Takten abzeichnete: Gatti versteht die Totenmesse nicht mit der üblichen Nonchalance als Oper des Komponisten, sondern als eigenes, alle Gattungen sprengendes vokalsinfonisches Werk. Und diesen Ansatz setzte der Dirigent von Anfang an energisch durch: Die Musik entstand wie vorgeschrieben aus dem Nichts. Dann lag der Schwerpunkt nicht bei den sich ohnehin selbstverständlich herstellenden Höhepunkten der Totenmesse, sondern auf den eher ruhigen Passagen, bei denen Gatti höchste Konzentration einforderte und auch bekam.

Verdis "Requiem" im Gasteig.
Verdis "Requiem" im Gasteig. © Tobias Hase/mphil

Weniger Glück mit den Solisten

Der - wie üblich - von Andreas Herrmann vorzüglich einstudierte Chor folgte Gattis Vorstellungen mit bewundernswerter, routinefreier Flexibilität und meisterlicher Transparenz. Schon die unbegleitete Stelle "Te decet hymnus" erklang nicht nur durchhörbar, sondern auch sorgfältig schattiert zwischen laut, leise und den Nuancen dazwischen.

Im "Dies irae" holte der Dirigent Details der Instrumentierung heraus, über die sonst lärmend hinweggespielt wird. Besonders eindrücklich gelang der Moment des erhabenen Schauers vor dem Einsatz der Trompeten des Jüngsten Gerichts. Und das alles wirkte nie wie eine Etüde genauer Partiturlektüre, sondern stets natürlich, als müsse es so sein und wäre es immer so. Was es nur leider nie ist.

Daniele Gatti mit Iulia Maria Dan, Okka von der Damerau, Francesco Meli und Alex Esposito.
Daniele Gatti mit Iulia Maria Dan, Okka von der Damerau, Francesco Meli und Alex Esposito. © Tobias Hase/mphil

Mit dem Solisten hatte Gatti weniger Glück. Schon der erste krähende Einsatz des Tenors Francesco Meli im Kyrie war kein Höhepunkt gesanglicher Stilistik. Dem schlankstimmigen Bassisten Alex Esposito mangelte es an vokaler Autorität für die Soli im "Dies irae". Die Stimmen von Iulia Maria Dan und Okka von der Damerau mischten sich zwar schön im "Lux aeterna". Aber Dameraus Stimme hat sich bei aller Ausdruckswucht in Richtung dramatischer Sopran weiterentwickelt. Eine Mezzo-Farbe hat ihre Stimme nicht mehr. Und so waren sich beide Damen in störender Weise allzu ähnlich.

Konzentration auf den Chor und das Orchester

Meli hatte leider kein schönes Piano für das "Ingemisco", erst beim "Hostias" wirkte er einigermaßen freigesungen. Im "Lux aeterna" wurde stellenweise wie in einer beliebigen Verdi-Aufführung über jede dynamisch Nuance hinweggesungen. Da begleitete Gatti nur leicht resigniert, um sich anschließend wieder auf das mit dem Chor und dem Orchester sorgfältig Erarbeitete zu konzentieren. Immerhin gelang Iulia Maria Dan noch ein eindrückliches "Libera me".

Verdis "Requiem" ist schwierig zu besetzen. Was die Arbeit mit Chor und Orchester angeht, hat diese Aufführung neue Maßstäbe gesetzt, dieses Werk als geistliches Drama und nicht als Oper zu verstehen. In dieser Woche dirigiert Gatti noch ein weiteres, kompliziertes Werk: Mahlers Siebte. Darauf darf man sich nach diesem "Requiem" freuen. Ein neuer Gürtel oder eine neue Hose wird sich in München bis dahin sicher auftreiben lassen.

Gatti dirigiert Mahlers Siebte am Mittwoch und Donnerstag um 19.30 Uhr in der Isarphilharmonie

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