Daniel Behle singt Richard Strauss: Anspannung und Entspannung
München - Das Klischee vom Tenor, der keine Noten lesen kann, ist wohl mittlerweile Geschichte geworden. Daniel Behle kann sogar noch sehr viel mehr: Der gebürtige Hamburger ist nicht nur einer der derzeit gefragtesten Sänger seines Fachs, sondern auch ausgebildeter Komponist.
AZ: Auf Ihrer neuen CD findet sich mitten unter den Werken von Richard Strauss das Lied "Der Schmetterling" von 2017. Erst im Beibüchlein erfährt man, dass Sie es selbst komponiert haben...
DANIEL BEHLE: Der Pianist Oliver Schnyder und ich haben in dem Film "Brennender Sommer" des Schweizer Dokumentarfilmers Heinz Bütler mitgewirkt. Da geht es hauptsächlich um Hermann Hesse, und ich wurde zu den "Vier letzten Liedern" interviewt, die Richard Strauss ja auf Gedichte von Hesse geschrieben hat. Wir haben die Lieder für den Film auch eingesungen, seltenerweise mit Tenor und Klavierbegleitung. Strauss und Hesse waren ja damals gleichzeitig in der Schweiz auf Kur. So kam die Idee auf, sozusagen postfaktisch und im Sinne "alternativer Realität": Wie wäre es, wenn im Hotelsafe des Badener Kurhauses ein Manuskript gefunden worden wäre von einer Hesse-Vertonung, die Strauss während der Zeit auf Kur angefertigt hat, vielleicht sogar, um seinen dortigen Aufenthalt zu finanzieren...
Daniel Behle: "Wir lechzen nach Zentrum"
"Der Schmetterling" könnte glatt als Stilkopie durchgehen. Warum haben Sie so eine gekonnte Fälschung überhaupt aufgedeckt?
Eigentlich wollten wir es knallhart durchziehen und das Lied als "Welturaufführung" betiteln, um einfach zu gucken, ob die Journalisten das merken, besonders die aus dem Onlinebereich, wo viele Fehler passieren. Aber wir haben dann doch kalte Füße bekommen. Wer nur das Cover anschaut und sich nicht die Mühe macht, sich die Hintergrundinformationen anzueignen, wird nicht mitkriegen, dass das ein Kuckuckslied ist. Ich freue mich auf die Reaktionen der Leute, das Album heißt ja auch "Un-Erhört".
Offenkundig stehen Sie Richard Strauss nicht kritisch gegenüber.
Für mich ist Strauss inzwischen zum Vorbild für alles geworden. Auch die Operette "Hopfen und Malz", an der ich gerade schreibe, ist seiner Idee der Hypertonalität verpflichtet: Es gibt tonale Zentren, die in einer unglaublichen Geschwindigkeit abgespult werden und sich somit als Neue Musik verkleiden. Ich finde, gerade der späte Strauss hat einen Weg gefunden, wie er große Stücke konzipiert und harmonisiert. Wir lechzen nach Zentrum, und Tonalität ist so ein Zentrum, das bleibt. Natürlich langweilt das einen gestandenen Komponisten irgendwann, und da hat Strauss durch dieses schnelle Wechseln eine Lösung gefunden, die viele Welten zusammenbringt.
Daniel Behle: "Strauss wusste genau, wo ein Tenor optimal klingt"
Haben Sie auch den Eindruck, dass Strauss Tenöre nicht so recht mochte...?
Das ist ein Fehlglaube. Es ist zwar schwer zu singen, aber Strauss wusste genau, wo ein Tenor optimal klingt. Er ist zum Beispiel nicht ängstlich in der Höhe, gestaltet das aber durch den Wechsel von hohen und tiefen Passagen für den Stimm-Muskel des Sängers sehr geschickt: Auf eine Anspannung kommt immer eine Entspannung. Wagner oder Mahler hingegen bauen eine Spannung über viele Takte hinweg auf und kommen da gar nicht mehr runter. Das ist viel mehr gegen die Stimme als das Komponieren von Strauss, der einfach Kantilenen schreibt. Natürlich ist das alles oft abgefahren, aber grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass Strauss den Tenor verstanden hat. Nicht zuletzt komme ich auch durch seine Instrumentierung immer sehr gut durch.
Mögen Sie auch die späteren, nicht so populären Opern?
"Die Liebe der Danae" habe ich gesungen, die "Schweigsame Frau" ist meine Lieblingsoper - obwohl ich einmal bei einer Probe des ersten Finales den Klavierauszug in die Ecke gefeuert habe! Die Hälfte der Stimme ist nur Finale I, das ist wie Rossini auf Drogen. Man ist nur am Blättern. Gleichzeitig muss ich aber immer wieder zum hohen B hinaufsingen, wie bei Franz Lehár, nur ins Hundertfache übersteigert. Kurz gesagt, Strauss vera... Lehár nach Strich und Faden.
Daniel Behle: "Gegenüber den Texten bin ich nur Mittel zum Zweck"
Im Film "Brennender Sommer" singen Sie sogar die "Vier letzten Lieder", die sonst immer nur von Frauen interpretiert werden überhaupt?
Ich bin der Meinung, man kann die "Vier letzten Lieder" als Tenor singen. Es ergibt sich wegen der tieferen Lage der Männerstimme und der Begleitung durch das Klavier der Mehrwert, dass man den Text auch in langen Phrasen sehr gut verstehen kann. Der Enkel von Hermann Hesse, Silver Hesse, war sehr berührt, weil er den Text seines Opas endlich einmal gehört hat. Wenn ich älter werde und mehr Tiefe dazu kommt, werde ich "Im Abendrot" noch mehr gerecht.
Im "Krämerspiegel" zeigt sich Strauss so ätzend wie sonst kaum. Ist es Ihre Strategie, das noch zu schärfen oder eher abzumildern?
Ich habe versucht, einen Mittelweg zu finden. Es war der Dichter Alfred Kerr, der hier sehr ätzend geschrieben hat. Strauss war, während er diese Lieder komponiert hat, hochgradig inspiriert, und die Musik hat er ja dann teilweise auch in "Capriccio", seiner letzten Oper, wieder verwendet, nämlich in der "Mondscheinmusik". Da ist ihm so viel an Melodik, an Witz eingefallen, er zitiert sich etwa selber aus dem "Till Eulenspiegel" und "Tod und Verklärung". Die Musik ist nie polemisch, nur der Text, dem ein hoher literarischer Wert zukommt: Das ist, mit der heutigen Zeit verglichen, auf dem satirischen Niveau von "Titanic", "Mad-Magazin" oder "Charlie Hebdo". Deswegen stelle ich mich, wenn ich den "Krämerspiegel" im Konzert singe, auch nicht in die Wolke des Klaviers, sondern als Rezitator mit Noten abseits hin, um zu demonstrieren: Ich lese. Gegenüber den Texten bin ich da nur Mittel zum Zweck.
Richard Strauss: "Un-Erhört: 'Der Krämerspiegel' und andere Lieder", Daniel Behle, Oliver Schnyder/Klavier (Prospero)
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