Daniel Barenboim über seinen Schubert-Zyklus

Am Samstag beginnt Daniel Barenboim seinen vierteiligen Zyklus mit Sonaten von Franz Schubert in der Philharmonie am Gasteig
von  Michael Bastian Weiß
Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim ist ein leidenschaftlicher Zigarrenraucher – hier pafft er in seinem Berliner Büro bei einem Gespräch mit Journalisten.
Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim ist ein leidenschaftlicher Zigarrenraucher – hier pafft er in seinem Berliner Büro bei einem Gespräch mit Journalisten. © dpa

MÜNCHEN - Der Ort des Gespräches ist zwar die Piano-Bar im Bayerischen Hof, doch Daniel Barenboim wird, so ist es vorsichtshalber angekündigt, heute nicht Klavier spielen. Stattdessen sitzt der Maestro gut gelaunt mit einer mächtigen Havanna in der Ecke, dicke Wolken steigen auf. Wer bekäme da nicht Lust, mitzupaffen? Auf meine Bemerkung, ich hätte auch eine Zigarre dabei, folgt die herzliche Einladung: „Bitte sehr, nur zu!“ Doch letztendlich überwiegen die Bedenken angesichts des herrschenden Rauchverbots. Barenboim scheint leicht enttäuscht zu sein. Doch es soll ja nicht schwerpunktmäßig um Genussmittel, sondern um die Klaviersonaten Franz Schuberts gehen, die Barenboim in insgesamt vier Konzerten in München komplett spielen wird.

AZ: Herr Barenboim, gibt es Musiker, die Ihr Schubert-Bild besonders stark geprägt haben?
DANIEL BARENBOIM: Dietrich Fischer-Dieskau. Ich habe fünfundzwanzig Jahre lang mit ihm musiziert. Meine erste „Winterreise“ überhaupt habe ich 1952 von ihm gesungen gehört, das blieb für mich ein Muster. Ich habe sehr viel gelernt, weil er alles über alles wusste, über das Singen natürlich, auch das Klavierspielen und vor allem die Verbindung von Sprache und Musik, von Wort und Ton. Er hatte das für sich so deutlich analysiert wie kein anderer Sänger vorher. Eigentlich ist es nicht so kompliziert, doch heute verstehe ich viele Sänger nicht, besonders, wenn sie auf Deutsch singen. In dieser Sprache haben die Konsonanten eine besondere Bedeutung. Sie kommen ja vor dem Ton, der Sänger hat die Freiheit, die Konsonanten zu bringen, wann er will. Das können Sie auf dem Klavier nicht machen, höchstens die Illusion davon erzeugen.

Wie geht das?
Man versucht, dass der Zuhörer nicht schon beim ersten Ton anhält, sondern die ganze Linie mitmacht. Wissen Sie, für Schubert sind die Lieder sein intimes Tagebuch. Man muss sich deswegen beim Spiel der Sonaten keine Worte vorstellen, obwohl Pianisten wie Artur Schnabel das sehr erfolgreich gemacht haben. Aber man muss bei Schubert immer Singen, Deklamieren und Sprechen, sonst bleibt seine Welt beschränkt.

Wie singt man auf dem Klavier?
Man hat oft automatisch die Tendenz, lange Töne lauter zu spielen, weil man denkt, sie würden dann länger klingen. Das ist aber nicht der Fall. Man muss irgendwie in der Balance der beiden Hände die Kontrapunktik wahren. Man kann zum Beispiel nicht die ganze Zeit etwa die Begleitung leicht spielen, sie muss zur Melodie zurückkehren. Auch das Pedal ist hier sehr wichtig. Man kann das Pedal gleichzeitig mit dem Ton drücken, oder aber davor – oder danach, um den Ton zu verändern. Das war übrigens die große Meisterschaft von Vladimir Horowitz. Das ist für das Singen sehr wichtig.

Sie haben viel mit Sergiu Celibidache musiziert. Würden Sie sagen, dass seine Vorstellung der Sinnhaftigkeit von Musik, des quasi bedeutungstragende Verhältnisses der Motive und Phrasen zueinander, Sie beeinflusst hat?
Oh ja. Ich bin immer aus München mit mehr Gedanken abgereist, als ich vorher dabei hatte. Celibidache suchte permanent nach diesen Verbindungen. Es gibt in der Musik kein unabhängiges Element, ob rhythmisch, melodisch oder harmonisch. Philosophisch gesagt, muss man in der Musik immer versuchen, aus allem Eins zu machen, ein Absolutes, ähnlich wie im religiösen Sinne. Man kann sich nicht auf ein Element konzentrieren und die anderen vernachlässigen, das wäre von einer Oberflächlichkeit, welche die Musik nicht verträgt. Besonders für Schubert ist das sehr, sehr wichtig.

Gibt es noch Pianisten, die Sie in Ihrem Schubert-Spiel inspiriert haben?
Edwin Fischer hatte zu Schubert eine besondere Beziehung. Er hatte so einen luminösen Ton, da warst Du schon am Anfang betrunken davon. Und dann: die Einfachheit, gerade dort, wo bei Schnabel manchmal ein Zeigefinger dabei war. In moderneren Zeiten hatte ich mit Clifford Curzon und Radu Lupu besondere Schubert-Erlebnisse.

Viele berühmte Musiker hatten an Schubert einiges auszusetzen. Von Robert Schumann stammt das auf die C-Dur-Symphonie gemünzte Wort von der „himmlischen Länge“ .
Gott sei Dank hat er Anton Bruckner nicht gekannt, stellen Sie sich vor, wie er das beschrieben hätte!

Mir geht es besonders um die eigentümliche Zeitdimension des späten Schubert, etwa die häufige Kreisförmigkeit der Themen. Würden Sie darin auch eine Schwierigkeit sehen, etwa die bisweilen statischen, mehr klanglich bestimmten Entwicklungen?
Zunächst einmal muss bei jedem Stück, das ich spiele, von wem es auch ist, fühlen, daß es mein Lieblingsstück ist. Da kann ich keine kritische Position einnehmen. Schubert ist ärmer an Steigerungen, an Höhepunkten vielleicht, aber nicht an Entwicklungen, da ist die Musik besonders reich. Und diese Entwicklungen führen besonders in harmonischer Hinsicht in total fremde Tonarten. Man muss das so spielen, als man ein Visum bräuchte, um in diese ferne Tonart zu gelangen! Die Harmonik ist ungemein wichtig, sie ist auch, anders als man heute oft denkt, viel potenter als der Rhythmus. Heute ist unsere natürliche Empfindsamkeit für die Harmonik nicht mehr so frisch. Jeder Musiker muss diese neu entdecken.

Barenboim spielt die Klaviersonaten von Schubert am 3. und 5. Dezember und am 20. und 22. Februar 2017, jeweils um 20 Uhr in der Philharmonie. Karten unter Telefon 93 60 93. Barenboims Aufnahme von 11 Sonaten aus den Jahren 2013 und 2014 erschien bei der Deutschen Grammophon

 

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