Daniel Barenboim spielt Schubert
Es muss die Akustik gewesen sein. Denn ein Daniel Barenboim setzt sich nicht ans Klavier und spielt Schubert wie ein verkaterter, unausgeschlafener Korrepetitor vom Blatt um fünf Uhr morgens. Zumal vor ausverkauftem Haus und bei saftigen Preisen bis zu 100 Euro.
Wie an den ersten beiden Abenden seiner im Dezember begonnenen Aufführung aller vollendeten Schubert-Sonaten standen wieder drei Werke auf den Programm: ein frühes, ein mittleres, ein spätes. Der erste Satz der Sonate in Es-Dur D 568 beginnt mit drei gegensätzlichen Charakteren: einer lyrischen Figur und einer dramatischen Geste, gefolgt von einem Walzerchen. Irgendwie verwirrte der draußen wehende Vorfrühjahrssturm alles zu einem schlecht artikulierten Genuschel. Das Andante molto blieb – wie alle langsamen Sätze – im neutralen „Nicht Schnell, aber auch nicht Langsam“. Und jedem Schlusssatz gebrach es an Schwung.
Vor zwei Monaten entdeckte Barenboim Schuberts Natürlichkeit neu, weil er sich von der bei manchen Interpreten so beliebten Radikal-Extremisierung fern hielt. Weshalb es nur an der Akustik liegen kann, dass es diesmal nicht klappte. Der Berichterstatter saß übrigens am gleichen Platz.
Schubert - ein Säusler
Denn es ist unvorstellbar, dass ein Pianist vom Rang Barenboims den Seitensatz im Trauermarsch der Sonate in a-moll D 784 im Tempo einfach so nimmt, wie es für seine Finger bequem ist. Irgendeine störende Aura verkleinerte auch alle Gegensätze von laut und leise zu einem Dauermezzoforte moderato. Hin und wieder schien sich der Pianist fast vom Hocker zu erheben, um mit Kraft in die Tasten zu donnern. Aber auch dann blieb sein Schubert ein Säusler.
Die Sonate in D-Dur D 850 spielte Barenboim nach der Pause etwas kontrollierter. Oder der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota hat kurz seine Gasteig-Pläne durchgeblättert: mit magischer Fernwirkung. Ein Vor-Föhn zerstäubte die Rhythmen im Scherzo. Im Finale collagierte ein hartnäckiges Handy zu den Tanzmelodien wie bei Gustav Mahler oder Charles Ives eine originelle Gegenstimme hinzu.
Die Frage, warum Menschen im Konzertsaal ihr Handy nicht ausschalten, ist ein noch größeres Geheimnis wie die Gasteig-Akustik oder die Tagesform des Herrn Barenboim. Das höchste aller Mysterien aber bleibt, weshalb klassik-affine Menschen die banalsten Klingeltöne wählen, und nicht wenigstens die „Kleine Nachtmusik“. Oder einen Schubert. Barenboim, der bei solchen Gelegenheiten gerne Ansprachen hält, schwieg. Er ließ sich sogar von den ihm verhassten Handykameras fotografieren. Vermutlich, weil er sich über die Gasteig-Akustik wunderte. Oder über den stehenden Beifall, der ihm freundlich, aber unverdient zuteilwurde. Heute, beim Finale, ist die Akustik wahrscheinlich wieder besser.
Daniel Barenboim spielt heute, am 22. Februar 2017, um 20 Uhr wieder Schubert, Restkarten an der Abendkasse