Cora Irsen spielt die beiden Klavierkonzerte von Marie Jaëll
Glühende Herzenssache: Die Pianistin Cora Irsen spielt die beiden Klavierkonzerte von Marie Jaëll
Die sogenannte „Gender“-Problematik, also die Frage, wie unterschiedlich Menschen in der Gesellschaft behandelt werden, je nachdem, ob sie als Frau oder Mann geboren wurden, wird immer wieder einmal lächerlich gemacht. In der Musikwelt aber hat sie eine große Bedeutung, weil gerade Komponistinnen bis weit in das vergangene Jahrtausend hinein himmelschreiend ungerecht behandelt wurden.
So ist etwa Marie Jaëll (1846 – 1925) bis heute immer noch praktisch unbekannt, obwohl sie ein nennenswertes Oeuvre von Klavierwerken vorlegte. Wenn die Französin in den älteren Lexika erwähnt wird, dann vor allem als Pianistin und Autorin gewichtiger musikwissenschaftlicher und klavierpädagogischer Bücher.
Das Engagement der Pianistin Cora Irsen, die auf insgesamt vier Folgen Jaells sämtliche Werke für Klavier vorlegt, ist daher hochwillkommen. Die jüngste Produktion bringt abschließend die beiden Klavierkonzerte der gebürtigen Elsässerin, die bei César Franck und Camille Saint-Saëns Komposition studierte und mit Franz Liszt befreundet war – für den sie allerdings, zeitbedingt, die Sekretärin spielte. Als sie starb, hatte sie schon über ein Vierteljahrhundert fast nichts mehr komponiert.
Eleganz und Leichtigkeit
Die beiden Klavierkonzerte, Nr. 1 d-moll und Nr. 2 c-moll, stammen von 1877 (da schrieb Johannes Brahms gerade seine zweite Symphonie) und 1884. Sie sind einerseits nicht so bedeutend, dass die Musikgeschichte umgeschrieben werden müsste, andererseits verbindet die damals noch junge Komponistin die französische Tradition überaus gekonnt mit der deutschen.
Für dieses spannungsvolle Changieren zwischen den Welten ist Cora Irsen die pianistische Idealbesetzung. Die Schülerin des großen Karl-Heinz Kämmerling verleiht in ihrem ungemein sprechenden Spiel dem Pathos dieser Musik immer auch eine gewisse Eleganz, gibt aber die Leichtigkeit der Finalsätze nicht der Oberflächlichkeit preis.
Vor allem aber ist in jedem Ton zu spüren, welche glühende Herzenssache diese lange vergessenen Stücke für Irsen darstellen. Ebenbürtig ist die sorgfältige, auf unaufdringliche Weise historisch informierte Begleitung durch das WDR Funkhausorchester unter Arjan Tien. Und um noch die naheliegende Frage zu beantworten: Dass Marie Jaëll eine Frau war, ist diesen Werken nicht anzuhören. Wer das nachprüfen will, wird künstlerisch reich belohnt.
Marie Jaell: Klavierkonzerte Nr. 1 d-moll und Nr. 2 c-moll; Cora Irsen, Klavier; WDR Funkhausorchester, Arjan Tien (Querstand/VKJK)