Christian Thielemann brilliert - außer bei Schostakowitsch

Die Konzerte der Sächsischen Staatskapelle Dresden bei den Osterfestspielen in Salzburg
von  Robert Braunmüller

Von einem Imageproblem zu reden, wäre hart. Aber Christian Thielemann ist in der öffentlichen Wahrnehmung sehr auf deutsche Musik von Wagner, Strauss oder Bruckner festgelegt. Grund genug, an solchen Festlegungen dort ein wenig zu rütteln, wo das Publikum am treuesten ist: bei den Salzburger Osterfestspielen der Staatskapelle Dresden.

Auf das italienische Operndoppel „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“ folgte ein russischer Schwerpunkt. Thielemann dirigierte Tschaikowskys Symphonie Nr. 6 „Pathétique“ und das Violinkonzert Nr. 1 von Dmitri Schostakowitsch. Ihre Musik verortete er, was nicht selbstverständlich ist, in der mitteleuropäischen Tradition.

Thielemann betonte bei Tschaikowsky zwar die dramatischen Zuspitzungen. Aber wie bei den Verismo-Opern mied er jene Sorte Lärm, die im einen Fall öfter mit „Italianitá“ verwechselt und im anderen für slawische Urtümlichkeit gehalten wird. Die „Pathétique“ nimmt er eher streng, fast klassizistisch, ohne das Emotionale zu unterschlagen: Im Trio des Walzers tickte die Pauke wie eine Totenuhr. Dann, in harter Fügung, der alles zermalmende Triumphmarsch und das niedergeschlagene Adagio. Hier widerstand der Dirigent seiner Neigung, den schönen Klang der Staatskapelle über Gebühr auszukosten.

Seltsamer Schostakowitsch

Schostakowitsch gelang ihm weniger überzeugend. „1948 hätte der Komponist besserer Laune sein müssen, als er war“, plauderte Thielemann bei der Pressekonferenz der Osterfestspiele. Eine ignorante Bemerkung über ein Werk, das in der Zeit einer sehr repressiven sowjetischen Kulturpolitik für die Schublade komponiert wurde.

Und das hatte, leider, Methode: Es ist zwar löblich, Schostakowitschs Kompositionen vor allem als Musik zu nehmen und nicht in erster Linie als autobiografische Flaschenpost aus der Zeit des Totalitarismus. Doch Nikolaj Znaider wirkte vom emotionalen Gehalt des Werks völlig unbetroffen. Er geigte perfekt, auf brillante Tonschönheit bedacht, was bei diesem Werk ziemlich oberflächlich wirkt. Schostakowitsch als Paganini des 20. Jahrhunderts: Das dann doch nicht.

Auch Daniele Gatti hatte am Tag davor mit dessen Symphonie Nr. 10 ähnliche Schwierigkeiten. Die Staatskapelle Dresden spielte zwar herausragend klangschön. Doch alles Fahle, Schmerzliche und Melancholische wollte nicht gelingen. Vielleicht ist der Frühling die falsche Jahreszeit für diese Musik. Dafür entschädigte der phänomenale Auftritt von Arcadi Volodos mit Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1: Es grenzt an ein Wunder, wie dieser Pianist das Klavier manchmal als Schlagzeug gebraucht und im nächsten Solo dann jubelt, schimpft oder trauert.

Triumph mit Verdis "Requiem"

Doch das Beste kam zum Schluss: Verdis „Messa da Requiem“ mit dem überragenden Chor des Bayerischen Rundfunks in einer hochdramatischen, aber nie theatralischen Aufführung. Im Großen Festspielhaus fand ein Ensemble wahrer Riesenstimmen zusammen: der eherne Bass von Ildar Abdrazakov, die den Chor und das Orchester mühelos überstrahlende Liudmyla Monastryrska und die sensationelle Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili. Eine üppigere, schönere, größere und androgynere Mezzo-Stimme hat es im italienischen Fach seit 30, 40 Jahren nicht mehr gegeben. Und dazu noch Jonas Kaufmann, der einzige lebende Tenor, der bei solchen XXXL-Sängern überhaupt mithalten kann und mit leisem Singen beeindruckte.

Nicht jede „Dolcissimo“-Vorschrift Verdis wurde wortwörtlich befolgt. Aber Thielemann gelang eine ungemein packende Aufführung. Man wünschte sich sofort anschließend „Aida“ in der gleichen Besetzung. Alles machte Lust auf den „Otello“, den der Dirigent im nächsten Jahr herausbringen wird.

Ungewisse Zukunft

An allen Abenden spielte die Sächsische Staatskapelle Dresden so, dass niemand die seit 2013 nach Baden-Baden abgewanderten Berliner Philharmoniker vermisste. Die Auslastung der kaum subventionierten und daher für das Publikum sehr teuren Festspiele liegt bei 90 Prozent. Im dritten Jahr scheint Thielemann wirklich in Salzburg angekommen. Doch alle fragen sich, ob er auf Dauer bleibt. Das hängt davon ab, welchen Chefdirigenten die Berliner Philharmoniker am 11. Mai in geheimer Abstimmung wählen.

 

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