Christian Tetzlaff spielt Alban Berg
Er schabt, er holzt, er quietscht. Er kratzt, und wenn das auf der Geige ginge, würde er vielleicht auch beißen. Im Piano flackert sein Ton manchmal unstet wie ein Licht im Wind, die hohen, lauten Triller gellen wie Sirenen. Am Bogen reißt ein Haar. Wenn man das so liest, klingt es nicht danach, aber: Christian Tetzlaff spielt das Violinkonzert von Alban Berg geradezu verwirrend schön.
Das liegt nicht nur daran, dass uns die letzten Jahrzehnte Neuer Musik gezeigt haben, wie faszinierend und angenehm Geräusche tönen können. Christian Tetzlaff begnügt sich auf der Bühne des Herkulessaals nicht damit, die Ausdruckspalette seines Instruments jenseits der Tonhöhen auszuloten, gleichsam seine hölzerne und haarige Körperlichkeit. Vielmehr verweigert der gebürtige Hamburger in seiner einzigartigen Interpretation jenes bisweilen geschmäcklerische Ästhetisieren, das einige seiner Kolleginnen und Kollegen diesem Werk angedeihen lassen.
Ein Engel mit rauer Kehle
Zwar hat der Komponist selbst das Konzert dem "Andenken eines Engels" gewidmet. Es mag daher widerspenstig sein, wie Tetzlaff den Bach-Choral eben nicht nazarenerhaft angelisch zu intonieren, sondern gleichsam mit rauer Kehle, weniger wie ein Engel als ein Mensch, der schon viel erlebt hat, und nicht nur Gutes. Doch Alban Berg hat ja keine Programmmusik komponiert, sondern ein komplexes Ausnahmewerk der Avantgarde. Genau diesen Anspruch verwirklicht Christian Tetzlaff in seiner Deutung vollkommen - und, wohlgemerkt: aufs Schönste.
Der Dirigent David Afkham folgt seinem Solisten geschmeidig, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks schafft eine durchlässige, kammermusikalisch transparente Umgebung, auch genügend expressiv, etwa in den sanft vibrierenden Soli von Kontrabass oder Posaune. Wenn Christian Tetzlaff jedoch das Scherzando oder das Walzern bewusst übertreibt und somit Bergs Nähe zu Gustav Mahler andeutet, macht Afkham nicht mit; das wäre wohl auch zuviel. Ohnehin liegt dem vierzigjährigen Dirigenten das natürliche, organische Musizieren besonders.
Herbstsehnsüchtige Schönheit
So lässt er die Symphonie Nr. 4 C-Dur von Franz Schmidt ähnlich ruhig vorüberziehen, wie Kirill Petrenko es vor einigen Jahren mit den Berliner Philharmonikern vorführte. Doch wo Petrenko die Tristesse dieses einsätzigen Kolosses betonte, schöpft Afkham mit vollen Händen aus den unendlichen Ressourcen des BR-Symphonieorchesters und lässt diese spätest-romantische Musik in herbstsehnsüchtiger Schönheit verglühen: einer ganz anderen Schönheit freilich als derjenigen des Schönberg-Schülers Alban Berg.
Das Konzert kann man auf www.br-klassik.de und br-so.de nachhören.