Chris Boettcher im Brunnenhof: Flügel für die Stimme

München - In der langen coronabedingten Auftrittspause sind auch dem Musiker und Comedian Chris Boettcher die Witze ausgegangen - aber nicht die Ideen und der künstlerische Mut. "Ich habe schnell gemerkt, dass ich die Zwangspause als Chance nutzen muss. Ich habe in mich hineingehört, um festzustellen, ob es nicht vielleicht Dinge gibt, die ich gar nicht weiter so machen wollte", sagt der 58-Jährige, "und ob ich noch unerfüllte Träume habe?"
"Im Lockdown habe ich wieder unironische Texte geschrieben"
Hatte er - und Schuld daran ist auch Rufus Wainwright. "Statt 150 Bühnenauftritte im Jahr verfügte ich urplötzlich über unglaublich viel Zeit", sagt Boettcher. "Und ich habe mir wahnsinnig viele Musikvideos angeschaut." Wainwright faszinierte ihn besonders. "Wie der am Klavier die Menschen verzaubert! Da will ich auch hin. Ich habe im langen Lockdown wieder gelernt, unironische Texte zu schreiben, mal mehr auf meine Seele zu achten."
Und bald stellte Boettcher fest, dass seine neuen Songs auch einem Jazz-Musiker wie Andreas Unterreiner gefielen. "Es ist ja nicht so, dass ich nur ,Zehn Meter geh'n' komponieren kann, ich habe auch coolere Harmonien in mir", sagt Boettcher.
Andreas Unterreiner trommelte Musikerfreunde zusammen und arrangierte Boettchers neue Songs für eine 17-köpfige Band. "Ich bin so froh, dass ich mir das trotz zweier Lockdowns überhaupt leisten konnte", sagt Boettcher. "Ich habe mir gedacht, wenn du schon kein Geld verdienst, dann hau' es wenigstens sinnvoll raus."
"Mein Programm besteht nur aus meinen Liedern"
Ein Sound wie bei Sinatra oder Michael Bublé schwebte ihm vor, etwas, das in Deutschland zuletzt der 2016 gestorbene Roger Cicero versucht hat. "Roger Cicero hat wirklich sehr gut gesungen", sagt Boettcher, "der Unterschied ist allerdings, dass er seine Lieder nicht komponiert hat. Mein Programm besteht ausschließlich aus meinen Liedern und meinen Texten."
Im Studio war die Band auch schon für ein geplantes Album und Boettcher war fasziniert von der Qualität der Musiker. "Ich bin der einzige in der Band, der nicht Musik studiert hat. Ich habe nur mein Lehramtsstudium erfolgreich abgebrochen damals in Eichstätt", sagt Boettcher und lacht.
Und man spürt die Begeisterung, wenn er von seinen neuen Musikkollegen und ihren Fähigkeiten schwärmt: Axel Kühn etwa, einer der besten Jazz-Saxofonisten in Deutschland, oder Dominik Glöbl, Trompeten-Derwisch von Dreiviertelblut.
"Das Konzert im Brunnenhof ist eine Live-Premiere"
Das Konzert im Brunnenhof der Residenz lässt Boettcher von einem Profi-Team filmen als Bewerbungsvideo für einen möglichen Tourveranstalter. Denn das Projekt hat den künstlerischen Ehrgeiz in ihm entflammt.
"Ich springe da auch ins kalte Wasser, das Konzert im Brunnenhof ist schließlich die Live-Premiere. Aber ich möchte mit dem Programm diese alte Form des Entertainment wiederbeleben: Geschichten erzählen und singen."
Durch die Band bekommt die "Stimme einfach Flügel"
Dass er über Crooner-Qualitäten verfügt, war Boettcher bislang auch nicht so bewusst, aber er hat dafür eine plausible Erklärung: "Wenn die Band hinter Dir so kraftvoll swingt, dann bekommt die Stimme einfach Flügel."
Ganz davonfliegen von der Kleinkunst wird Boettcher aber nicht: "Nein, der Comedian in mir ist jetzt nicht gestorben, er finanziert ja noch den Musiker."
Chris Boettcher stellt das Programm "Nicht ohne meine Big Band" am 3. August um 20 Uhr im Brunnenhof der Residenz vor, Karten ab 48 Euro