Campino im Interview: "Polt ist der König der Punks"

Ob er schon wüsste, was er am 28. Mai vorhat? Nach dieser Frage muss Campino grinsen. Denn natürlich hat der Frontmann der Toten Hosen schon sein Ticket gebucht.
Für das in Paris stattfindende Champions-League-Finale zwischen seinem heiß geliebten Fußballklub FC Liverpool und Real Madrid. Danach geht es für den bald 60-Jährigen wieder ins Stadion. Diesmal aber mit den Toten Hosen, seiner Band. Das 40-jährige Bestehen wird mit einer Stadiontournee entsprechend zelebriert.

Aus diesem Anlass haben die Punk-Rocker eine umfassende Werkschau zusammengestellt, auf der auch sieben neue Songs enthalten sind.
AZ: Campino, wie hat sich die Song-Auswahl für Ihre Werkschau am Ende zusammengesetzt?
CAMPINO: Ungefähr 20 dieser Lieder wie "Hier kommt Alex" oder "Liebeslied" waren bei uns allen gesetzt. Dann gab es aber auch Songs wie "Kamikaze", der mir sehr am Herzen liegt, mit dem aber vielleicht Kuddel weniger anfangen kann. Er findet wiederum die Gitarre bei "Tote Hose" spannend. Das waren richtige Sondierungsgespräche, wo es auch darum ging, was für die Band als musikalischer Wendepunkt wichtig war. Bestes Beispiel dafür ist "Bayern".
Campino übers Olympiastadion: "Früher durften sich die Architekten mehr ausleben"
Was bedeutet Ihnen "Bayern" heute noch?
Der Witz an dem Song ist längst auserzählt, wir als Band hätten ihn deshalb nicht auf dem Album gebraucht. Er gehört aber zu unserer Folklore, war damals auch ein richtiger Aufreger. Und es wäre dann feige, wenn wir diesen Baustein unserer Karriere weglassen würden. Mittlerweile steht das Lied beim FC Bayern sogar im Museum, in einer Vitrine. Wenn die ihn als so wichtig empfinden, können wir auf ihn auch nicht mehr verzichten.
Sie treten am 18. Juni nicht wie gewohnt in der Olympiahalle, sondern im Olympiastadion auf. Was für eine Beziehung haben Sie zum Stadion?
Als ich hier im letzten Jahr eine Lesung hatte, bemerkte ich ein weiteres Mal die Besonderheit des Baus. Früher durften sich die Architekten einfach mehr ausleben, die Hallen und Stadien unterschieden sich von Stadt zu Stadt. Heutzutage gibt es - global betrachtet - immer mehr gleiche Vorgaben. Das Ergebnis sind moderne Mehrzweckhallen, bei denen ich gar nicht mehr weiß, wo ich mich gerade überhaupt befinde. Das passiert mir hier in München nicht.
Campino über München: "Als wären wir am anderen Ende der Welt angekommen"
Haben Sie auch persönliche Erinnerungen an das Olympiastadion?
Früher fand Rock im Park noch hier statt. Da erinnere ich mich an eine Wahnsinns-Regennacht, bei der Sting, der nach uns spielte, förmlich von der Bühne gespült wurde. Wir hatten bei unserem Auftritt das Glück, dass der Regen erst langsam einsetzte und die Menschen noch nicht anfingen, vor dem Unwetter zu fliehen.
Immer wieder ist zu hören, dass Sie gerne nach München kommen. Wie hat sich diese Städte-Liebesbeziehung entwickelt?
München fühlte sich für uns junge Punks an, als wären wir am anderen Ende der Welt angekommen. Von Düsseldorf hierher brauchte man im Bandbus fast zehn Stunden. Da kamen wir uns schon ein bisschen wie Marco Polo vor. Das Problem war aber, dass hier Anfang der 80er Jahre noch gar kein Laden für Leute wie uns existierte. Somit hatten wir im Zentrum der Stadt einfach nichts zu suchen. Wir wichen dann in die Münchner Umgebung aus, um mit Bands mit so tollen Namen wie "Ameisensäure" in wilden Clubs aufzutreten, in Erding zum Beispiel. Später kamen dann auch in der Innenstadt Clubs wie die Alabamahalle dazu, da wurde es besser.
Campino über "Langer Samstag": "Der Film war so unterirdisch, dass ihn niemand geguckt hat"
Gab es in dieser wilden Zeit auch mal Ärger im konservativen Bayern?
Nein, wir fanden es im Gegenteil immer toll, dass man hier nicht schief angesehen wurde, wenn man um 11 Uhr morgens ein Bier in der Hand hielt. Und wenn wir dann mal ins Wirtshaus gegangen sind, war zwar erst einmal Stille - es wurde buchstäblich das Kartenspielen beendet. Aber nach einem kurzen Check, ob wir in Ordnung sind und über uns selbst lachen können, ging das Leben auch wieder weiter. Richtig tief wurde die Freundschaft dann, als wir 1984 den Well-Brüdern in die Arme liefen. Später gesellten sich dann auch Gerhard Polt, Hanns Christian Müller und Gisela Schneeberger hinzu. 1991 habe ich mit denen dann auch einen Film gedreht (Anm. d. Red: "Langer Samstag") und sechs Wochen in München gelebt.

Nicht Ihr erster Auftritt als Schauspieler.
Als Band haben wir 1985 auf dem Bavaria-Filmgelände bei einem Kinofilm mitgemacht (Anm. der Red: "Der Formel Eins Film"), der so schlecht war, dass wir eigentlich schon dafür hätten aufgehängt werden müssen. Immerhin war das auch das erste Mal, dass jemand von uns verlangt hat, dass wir zu einer bestimmten Uhrzeit antreten müssen. Daneben hat man sich acht Wochen lang regelrecht um uns gekümmert. Es gab sogar eine Garderobiere, die uns fragte, ob sie denn die Hosen bügeln soll. Also alles Dinge, die wir zuvor nicht kannten. Der Film war am Ende dann so unterirdisch, dass ihn niemand geguckt hat und wir einfach weitermachen konnten, als hätte dieser Ausrutscher nie existiert.
"Jürgen Klopp kann Millionen Fans zu einer einzigen Familie verschmelzen"
Eine Freundschaft, die Sie abseits des Films und der Musik verbindet, ist die zu Jürgen Klopp. Was schätzen Sie an ihm?
Ich bewundere an ihm, dass er ein großer Fußball-Romantiker ist, der mit seinem Wesen ganze Städte mitreißen kann. Er kann Millionen Fans zu einer einzigen Familie verschmelzen. Wenn Jürgen dann irgendwann die Stopptaste drückt und weiterzieht, entsteht erstmal ein großes Loch. So war es in Mainz, so war es in Dortmund. Ich habe jetzt schon Angst davor, wenn er einmal bei meinem Verein, dem Liverpool FC, aufhört.

Die Emotionalität wie die Begeisterungsfähigkeit eint Sie mit Jürgen Klopp. Spielt sein Verein dann auch richtigen Punk-Rock, wie er es einmal auf einer Pressekonferenz erklärt hat?
Hier muss ich korrigieren. Jürgen sagte Heavy Metal. Das ist ein Riesenunterschied. Denn beim Heavy Metal geht es um schnelles, aggressives, aber vor allem exaktes Spiel. Das ist technisch wie sportlich höchst anspruchsvoll. Wenn Jürgen nun Punk-Rock spielen lassen würde, hieße das: Alle rennen nach vorne und keiner achtet auf die Abwehrarbeit. Das ergäbe ein Riesenchaos, das wollte ich nicht.
Campino: "An mir ist leider kein guter Fußballer verlorengegangen"
Wären Sie mit ihrer Fußball-Leidenschaft nicht auch gerne Profi-Kicker geworden?
An mir ist leider kein guter Fußballer verlorengegangen. Ich war balltechnisch einfach schlecht, und mit der Disziplin hätte es am Ende natürlich auch null gepasst. Ich bin allerdings ein passabler Verfolger.
Was schätzen Sie dahingegen an Ihrer Arbeit als Musiker?
Als Musiker darf ich mein eigenes Ende bestimmen, während ein Profifußballer bereits mit 30 Jahren als Veteran abgestempelt wird. Diese Sportler sind zwar in Wahrheit noch jung, fühlen sich aber aufgrund ihrer Profession schon alt. Deshalb habe ich auch bis zu einem gewissen Grad Verständnis dafür, wenn ein Kicker in seinen zehn guten Jahren auch das Maximum an Geld herausholen will.
"Jeder Mensch hat das Recht, die Grenzen seiner Peinlichkeit selber zu bestimmen"
Die Frage nach dem guten Abgang stellt sich aber auch in der Pop- und Rockmusik. Oder was halten Sie von Künstlern wie Phil Collins, die schwer gezeichnet noch mit über 70 Jahren auftreten?
Für mich ist das Alter hier nur ein Parameter von vielen. Warum sollte eine Band zum Beispiel noch weitermachen, wenn man sich bereits mit 30 nichts mehr zu sagen hat? Entscheidender ist für mich, ab wann man damit anfängt, sein eigenes Werk nur noch zu verwalten. Meiner Meinung nach hat jeder Mensch das Recht, die Grenzen seiner Peinlichkeit selber zu bestimmen. Und wenn jemand wie Phil Collins sagt, dass die Konzerte sein Leben sind und er dafür auch mit dem Rollstuhl auf die Bühne fährt, darf man das diesem Künstler nicht absprechen. Ich verstehe aber auch, wenn altgediente Fans von Genesis bei diesen Auftritten schwer schlucken müssen. In Sachen Alter gibt es aber auch Gegenbeispiele.
An wen denken Sie da?
An Nick Cave. Für mich spielt sein Alter überhaupt keine Rolle. Ich freue mich auf seine Auftritte heute noch genauso wie 1979, als ich ihn im Kölner Stollwerck mit seiner Band Birthday Party gesehen habe. Sicher hat er sich in den Jahren, auch körperlich, verändert, dafür aber eine neue Form der Energie gefunden, die mindestens so fesselnd ist wie damals.
Campino und die Bühne: "Alles, was du machst, muss spontan aus dir herauskommen"
Wie sieht es denn bei Ihnen mit dem Energielevel aus?
Wahrscheinlich sind all die Bands wie die Rolling Stones oder auch wir selbst schuld daran, dass wir ständig auf unsere Körperlichkeit angesprochen werden. Wir bringen unsere Musik eben mit all unserer Physis auf die Bühne. Die Frage, was man körperlich noch leisten will und kann, beschäftigt uns aber natürlich andauernd und fordert eine ständige Nachjustierung.
Wie sehen diese Überlegungen dann auch in Anbetracht der kommenden Tournee aus?
Die Problematik beginnt damit, wenn man etwas nur tut, um anderen zu beweisen, dass man es immer noch drauf hat. Für mich keine Option. Denn alles, was du machst, muss spontan aus dir herauskommen, so dass der Zuschauer es gar nicht erst hinterfragt, sondern als organischen Teil der Show ansieht. Wenn ich heutzutage wie früher an einer Lichttraverse hochklettern würde und sich die Zuschauer denken "Nicht schlecht für einen 60-Jährigen", wäre das für mich das Allerschlimmste. Ich bete zu Gott, dass ich live nicht plötzlich dazu in Versuchung gerate.
Was wäre denn ein passendes wie altersgemäßes Gegenprogramm?
Für mich ist das Höchste in der Kunst, wenn Leute auf die Bühne gehen, im Grunde nichts machen und das Publikum dennoch gebannt ist. Das perfekte Beispiel wäre hier für mich der König der Punks, Gerhard Polt: Der muss eigentlich nur einen Semmelknödel essen, und das Publikum tobt. Da will ich hin.
Die Werkschau "Alles aus Liebe - 40 Jahre Die Toten Hosen" als Vier-LP-Vinyl-Box oder Doppel-CD-Digipack ab 27. Mai im Handel; für das Konzert am 18. Juni im Münchner Olympiastadion gibt es noch Karten.