Cameron Carpenter in der Kritik: Es weihnachtet sehr

Der Gasteig hat eine Riesen-Orgel mit 74 Registern, ungefähr 6000 Pfeifen auf vier Manualen und Pedal. Es ist vom Klang her ein eher symphonisch orientiertes Instrument. Und übernutzt wird es auch nicht gerade. Cameron Carpenter spielt aber lieber auf seiner International Touring Organ: einem elektronischen Instrument mit einem guten Dutzend Boxen, die im Halbkreis auf dem Podium der Philharmonie prangen, während die Orgel darüber leicht staubbedeckt schweigt.
Womit wir beim Kern des Problems wären. Carpenter liebt das orchestrale, effektbetonte Spiel und die Bearbeitung. Seine Orgelfassung von Chopins Revolutionsetüde war eine Wucht. Jetzt scheut er die Mühe, sich auf vorhandene Instrumente einzustellen und reist mit einem Riesen-Synthesizer durch die Konzertsäle.
Noch immer effektvoll
Capenter begann mit dem krachend bunt registrierten Bachs Choralvorspiel "In dulci jubilo". Dann brauste Marcel Duprés Adventsmusik "Le monde dans l’attente du Sauveur" dämonisch: Zu französischer Orgelmusik passt Carpenters Effekt-Spiel am besten. Max Regers "Weihnachten" steigerte sich wie ein Bruckner-Adagio aus chromatischem Grummeln. Der Schluss mit der Umspielung von "Schlafe in himmlischer Ruh!" wirkte angesichts des vorangegangenen Orgel-Donnerwetters fast ein bißchen zynisch. Dann noch einmal Bach und Bach-Busoni und ein Ausschnitt aus Olivier Messiaens "La Nativité du Seigneur" mit einer Annäherung an den Klang der Ondes Martenot, eines von diesem Komponisten geschätzten elektronischen Instruments.
Effektbetont spielt er noch immer. Dagegen ist nichts zu sagen: Das machen auch Organisten, die sich auf der Orgelempore einer Kirche verstecken. Und auch der hochseriöse Anton Bruckner improvisierte am liebsten über die "Wacht am Rhein". Diese Rolle vertraten nach Tschaikowkys Blumenwalzer an diesem Abend Weihnachtslieder von "Jingle Bells" bis "O du fröhliche". Hin und wieder erinnerte es an einen Chor aus Quietsche-Entchen, meist war es effektvoll und witzig.
Es ist nicht der amerikanische Geschmack, der einen stört. Sondern das Instrument, mit dem man nicht recht warm wird. Die International Touring Organ klingt, wenn Carpenter mag, wie eine Pfeifenorgel. Aber eben nur fast. Etwas fehlt: wie das Filmkorn in der digitalen Fotografie. Oder der wärmere Klang einer Vinyl-Schallplatte. Hier ist es ein Rauschen und der Druck auf den Bauch. Eine Kleinigkeit, gewiss. Aber eine, die das gewisse Etwas spendet.