Brennen - in Liebe
Autor der „West Side Story“, mitreißender Dirigent, vom Publikum geliebter Musikerklärer: Weltweit wird zum 100. Geburtstag am heutigen Samstag an viele Facetten von Leonard Bernsteins Persönlichkeit erinnert. Außerhalb Münchens wird dabei gerne eine historische Leistung des amerikanischen Tausendsassas vergessen: „Lenny“ war der radikalste Kritiker des Gasteig.
Und das kam so: Zwei Jahre nach der Eröffnung dirigierte Bernstein in der Philharmonie 1986 ein Konzert mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Auf dem Programm stand sein eigenes, damals brandneues Werk „Jubilee Games“, das sich bis heute nicht so recht durchsetzen konnte. Auch bei der Münchner Erstaufführung bekommt das Stück, wie sich Eckard Heintz, damals Geschäftsführer des Gasteig erinnert, nur müden Applaus.
Noch in der Pause tobt Bernstein, er hätte noch nie so ein schreckliches Publikum erlebt. Dennoch bittet Heintz ihn nach dem Konzert, sich im schwarzledernen Gästebuch zu verewigen. Mit „diabolisch-verschmitztem Blick“, so Heintz, fragt Bernstein, gewandet im obligatorischen Morgenrock aus Seide, was er denn schreiben solle. Naturgemäß macht der Hausherr keine Vorschriften.
„Burn it!“, schreibt Lenny schwungvoll quer über die Seite: „Niederbrennen!“. Wobei umstritten ist, ob er damit seine eigene Partitur oder den Gasteig gemeint hat. Ganz ernst wird er diese Aufforderung nicht gemeint haben. Er hat sie auch mit einem herzlichen „Love“ unterschrieben.
Gern in München
Für nachhaltigen Groll reichte die Freundschaft mit München eh zu lange zurück. 1948 dirigierte Bernstein auf Einladung von Georg Solti in einem Konzert des Bayerischen Staatsorchesters. Auf dem Programm: eine Symphonie von Roy Harris, Maurice Ravels Klavierkonzert (mit Bernstein als Solist) und Robert Schumanns Symphonie Nr. 2 in C-Dur.
In den späten 1970er Jahren wurde das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zum einzigen deutschen Orchester, mit dem Bernstein ab den späten 1970er Jahren regelmäßig zusammenarbeitete – die Berliner Philharmoniker, die er nur einmal, im Jahre 1979, dirigierte, waren damals noch fest in der Hand seines größten Konkurrenten Herbert von Karajan. So war es das Münchner Eliteensemble, das zu einem der Lieblingsorchester Bernsteins wurde.
Bis heute legendär ist der Aufnahmezyklus von 1981, während dem er „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner dirigierte. An drei Abenden, die jeweils Monate auseinander lagen, zelebrierte er das Ideendrama aktweise mit existenzialistischer Intensität. Wenn der berühmte Tristan-Akkord nicht mit einem gewissen Keuchen erklingen würde, so erklärte Bernstein, dann solle man getrost die Aufführung verlassen.
Mozart mit Götterdämmerung
Unter den Zuhörern im Saal befand sich übrigens auch der Wahlmünchner Karl Richter, der damals bedeutendste Interpret der Werke Johann Sebastian Bachs, mit dem Bernstein eine enge Freundschaft verband. Nur folgerichtig war somit, dass Bernstein noch im Mai desselben Jahres das Gedenkkonzert zu Richters Tod im Herkulessaal dirigierte. Auf dem Programm standen Werke von Bach, einem Komponisten, den Bernstein nicht gerade häufig aufführte.
Im letzten Lebensjahrzehnt Bernsteins realisierte er mit den BR-Symphonikern einige besondere Projekte. Auf einer Reise nach Budapest 1983 spielte er eine seiner wenigen Aufnahmen mit Musik von Béla Bartók ein. Nicht zuletzt schätzte Bernstein den herausragenden BR-Chor, mit dem er Vokalmusik von Joseph Haydn, darunter eine der schönsten Einspielungen der „Schöpfung“ überhaupt, sowie von Wolfgang Amadeus Mozart aufführte. Dessen Messe c-moll erklang noch im Frühjahr des Todesjahrs 1990 in Waldsassen, eine denkwürdige Aufführung des Requiems d-moll fand zwei Jahre vorher in der Klosterkirche in Dießen am Ammersee statt.
Beethovens Freiheit
Bernstein hatte die Aufführung seiner verstorbenen Frau Felicia Montealegre gewidmet und unmissverständlich zu einer Herzensangelegenheit gemacht. So hielt er den Schlussakkord fast ewig aus und ließ ihn in der Tiefe des Kirchenraumes verdämmern wie das Finale einer ins Religiöse gewendeten „Götterdämmerung“: das genaue Gegenteil heutigen Historisierens – und dennoch könnte das nicht richtiger sein.
Von München aus wurden auch die wohl spektakulärsten späten Konzerte Bernsteins koordiniert. Kurz nach dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 dirigierte er zweimal die Symphonie Nr. 9 d-moll von Ludwig van Beethoven, sowohl in der Philharmonie im Westen als auch im Ost-Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Den Grundstock des riesigen Apparates bildeten Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, ergänzt durch Musiker aus Orchestern von Dresden, New York, London, Paris und Leningrad. Das Wort „Freude“ des Originaltextes von Schiller war nicht groß genug; Bernstein ersetzte es durch „Freiheit“. Da waren für den US-Komponisten und Dirigenten Welthistorie und Lebensgeschichte in einem einmaligen Augenblick zusammengefallen.