BR-Symphoniker in der Isarphilharmonie: Gestaltungskunst im Orchestergraben

München - Tonschönheit ist Nebensache" schreibt der junge Paul Hindemith über den vierten Satz seiner Violasonate op. 25/1. Tabea Zimmermann spielt dieses kurze wilde Stück als erste Zugabe und lässt das Publikum in der Isarphilharmonie mit offenem Mund zurück (die zweite Zugabe ist das anheimelnde Capriccio c-moll op. 55 "Hommage à Paganini" von Henri Vieuxtemps). Kein Zweifel besteht, dass die Bratschistin, aktuell Artist in Residence beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, einen schönen Ton hat. Doch er ist für sie nicht die Hauptsache.
Einzigartige Gestaltungskunst
Auch steht für sie nicht an erster Stelle, pedantisch die vielen Crescendi und Decrescendi zu befolgen, die der Komponist vorgeschrieben hat. Es ist ihre einzigartige Gestaltungskunst, die ihre Interpretation des hierzulande äußerst selten gespielten Violakonzerts von William Walton so anschaulich macht.
Tabea Zimmermann stellt sich unmissverständlich in die Mitte des Geschehens, sie fasst Phrasen zusammen, zieht zwischendurch ein bisschen das Tempo an, lädt auch begleitende Passagen expressiv auf, lässt momentweise sogar kratzende Geräusche einfließen. Sie verkörpert den Solopart als eine Bühnenfigur - man denkt an eine resolute englische Gouvernante, aber eine junge, vor Leben sprühende, die verliebte Lieder singt. Unwiderstehlich.
Der Dirigent hält der Solistin den Rücken frei
Nach getaner Arbeit klettert der Dirigent Ivan Fischer auf eines der Bühnenteile, um sich Tabea Zimmermanns Zugaben anzuhören. Auch während des Violakonzerts achtet er auf die Solistin, hält ihr den Rücken frei, indem er mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, unterstützt von der durch den reifen Walton revidierten Instrumentierung, absolute Transparenz schafft.
Wieder einmal wird eindrücklich, wie aufmerksam und uneitel sich der Anfang Siebzigjährige in die Dienste des Orchesters stellt. In der selten gespielten Walzerfolge Nr. 2 aus dem "Rosenkavalier" von Richard Strauss gibt er den Streichern tänzerischen Schwung und führt sie im aufregend spontanen Rubato, im "Konzert für Orchester" von Béla Bartók geleitet er die vorzüglichen BR-Holzbläsersolisten gleichsam galant auf die imaginäre Bühne, auf der sie sich dann völlig frei bewegen können. Und das Blech singt wie ein himmlischer Chor. Hier ist Tonschönheit alles.
Auf br-klassik.dekann man das Konzert ansehen und anhören.