BR-Symphonieorchester eröffnet Saison: Ein Prost auf die Musikauswahl

München – Die Streicher spielen gelassene Begleitfiguren, als begänne eine Kantate von Johann Sebastian Bach. Doch die an einen Choral angelehnte Melodie hat der Komponist dem Saxofon übertragen. Darauf reagieren die Bläser mit einer Figur, die Swing und Barock zusammenbringt: Befinden wir uns musikalisch etwa nicht in der Leipziger Thomaskirche, sondern womöglich in einer coolen Bar mit etwas melancholischen Besuchern?
Bach und Jazz als Hybridmischung
Beides ist richtig. Schauplatz der Saisoneröffnung des BR-Symphonieorchesters war die normalerweise dem Pop geweihte Tonhalle im Werksviertel – gleich neben dem Riesenrad, der nach dem verstorbenen Chefdirigenten Mariss Jansons benannten Bar und einer von Bauzäunen umstandenen Freifläche, auf der dermaleinst ein Konzertsaal für das Orchester gebaut werden könnte, wenn sich die widerwillige Politik dazu entschließt und die Musiker nicht mehr jedes Fettnäpfchen auslassen.
Getränke gab's zwar erst in der Pause, aber auch davor musste man nichts schöntrinken. Eigentlich wäre es angebracht gewesen, gleich zu Beginn des Konzerts das Glas zu erheben: Der hier Berichtende kennt zwar die in jeder Musikgeschichte erwähnte Ballettmusik "La création du monde" von Darius Milhaud, Aber im Konzert hat er diese hybride Mischung aus Bach und Jazz noch nie gehört, weil die Besetzung mit wenigen Streichern und vielen Bläsern weder zu einem Symphonie – noch zu einem Kammerorchester wirklich passt.
Den typischen Konzertbesucher kann nichts irritieren
Das gilt auch für den Rest des Programms, das Werke aus dem künstlerisch wie politisch turbulenten Jahr 1923 vereinte. Auf Milhaud folgte Igor Strawinskys Bläser-Oktett. Die Musiker versetzten dieses klanglich wie rhythmisch heikle Stück auch ohne die Dirigentin Erina Yashima in Bewegung. Was eine beachtliche Leistung ist, weil dieses Stück sehr schnell aus der Fasson geraten kann.
Edgar Varéses "Octandre" bildete mit seiner Vorahnung elektronischer Sinus-Klänge einen wirkungsvollen Kontrast zum Neoklassizismus der anderen Werke. Die Bläser verschwiegen die bis heute nachwirkende Radikalität dieses Stücks nicht und gönnten dem Hörer keine Konzession an die Tonschönheit, was eine anwesende Schülergruppe ein wenig irritierte, die typischen Konzertbesucher hingegen kalt ließ.
Mit Schwung, Schmäh und viel Herz gespielt: Das Finale
George Gershwins "Rhapsody in Blue" erklang anschließend in der eher unüblichen Erstversion für Jazzband und Klavier. Auch hier sorgte die an der Komischen Oper in Berlin als Kapellmeisterin wirkende Dirigentin für energischen Schwung. Nach einer Pause interpretierten Musiker des Orchesters mit dem Pianisten Kirill Gerstein neoklassizistische Routine von Francis Poulenc und die sehr spaßige Ballettmusik "La revue de cuisine" von Bohuslav Martinu. Als Finale gab es dann noch mit Schwung, Schmäh und viel Herz gespielte Walzer von Johann Strauß in Bearbeitungen von Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern. Dabei riss dem Konzertmeister eine Saite, was Gerstein gelassen mit einer improvisierten Moderation überbrückte.
Ein erfreulicher Start in die Saison
Das Club-Publikum fand den Weg in dieses Konzert nur sehr spärlich. Aber das mag sich noch ändern. So oder so überzeugt das Format "Watch this Space" durch ein Programm, das die vielfältigen Ressourcen des Orchesters für die Aufführung weniger bekannter Werke nutzt. An Details wie der altmodischen Frontalaufstellung, einem eher unlockeren Ritual und rundfunküblichen Sachzwängen wie blendenden Scheinwerfern ließe sich arbeiten. Es wäre auch weniger stimmungstötend, wenn zuerst einmal Musik gespielt werden würde, ehe jemand das Wort ergreift. Aber wenn die Saison beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks so erfreulich weitergeht, wie sie mit diesem Konzert begonnen hat, ist alles bestens.
In der nächsten Woche dirigiert Tugan Sohkiev am Donnerstag und Freitag um 20 Uhr Werke von Debussy, Ravel und Mussorgsky im Herkulessaal. Gerstein führt am 20. und 21. Oktober mit dem BR-Symphonieorchester Werke von Rachmaninow und Strauss auf. Karten bei BR Ticket