Interview

Bariton Andre Schuen: Damit die Luft wieder frei strömt

Andre Schuen über Schubert, die Corona-Krise und die Musik seiner Heimat Ladinien.
von  Georg Etscheit
Andrè Schuen (links) und der Pianist Daniel Heide.
Andrè Schuen (links) und der Pianist Daniel Heide. © Christoph Köstlin/Deutsche Grammophon

Der Bariton aus Südtirol hat sich in kurzer Zeit einen Namen als Lied- und Opernsänger gemacht. Zuletzt feierte er bei der Schubertiade Schwarzenberg Erfolge unter anderem mit Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin", den er auch auf CD aufgenommen hat. Ein Gespräch über Schuberts berühmte Lovestory, eine "Winterreise" im spanischen Sommer und ladinische Liebeslieder.

AZ: Herr Schuen, Sie haben gerade zusammen mit Ihrem Klavierpartner Daniel Heide bei der Deutschen Grammophon eine Neuaufnahme von Franz Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin" vorgelegt. Verzeihen Sie die Frage: Warum eine weitere "Müllerin" in dem kaum überschaubaren Meer von Einspielungen dieses Werkes?
ANDRÈ SCHUEN: Um die Müllerin kommt man als Liedsängern nicht herum, warum sollte man auch? Außerdem war es mir wichtig, den Zyklus zu einer Zeit aufzunehmen, wo ich mich noch ziemlich jugendlich fühle …

Sie sind 36 Jahre alt.
Natürlich kann man den Zyklus auch aus einer Erzählerperspektive heraus singen. Aber mir ist jetzt die Variante lieber, ganz in die Person des Müllergesellen einzutauchen.

Schuen: "Mit Gestik und Mimik bin ich auf der Bühne zurückhaltend"

Wie alt ist denn der unglücklich verliebte Müllersbursche, der sich schließlich aus Kummer im Mühlbach ertränkt?
Vielleicht zwischen zwanzig und dreißig, möglicherweise ist er sogar noch ein Teenager, es waren ja andere Zeiten, als Wilhelm Müller die Gedichte schrieb, die Schubert dann so genial vertonte.

Manche Kollegen von Ihnen, darunter Christian Gerhaher, versuchen, jede übermäßige Identifikation zu vermeiden.
Ich denke, jeder muss seinen eigenen Zugang finden. Natürlich muss man aufpassen, dass es nicht zu opernhaft wird, zu schauspielerisch. Aber ich glaube, ich kann mich da schon zurückhalten, etwa indem ich auf der Bühne in Mimik und Gestik sehr zurückhaltend agiere.

Sie haben bei der Schubertiade Schwarzenberg neben der "Müllerin" auch Schuberts "Winterreise" und den "Schwanengesang" interpretiert. Was liegt Ihnen mehr: die konkrete Lovestory der "Müllerin" oder die fiktive Wanderung eines Heimatlosen in der "Winterreise"?
Ach wissen Sie, auch die "Winterreise" ist in meinen Augen nicht nur eine Aneinanderreihung von Seelenzuständen. Auch hier gibt es eine Dramaturgie, zumindest versuche ich, eine solche in meinem Kopf zu gestalten. Für mich ist der wichtigste Unterschied der beiden Zyklen ein anderer: Die Müllerin ist zumindest in der ersten Hälfte, wo sich der Müllergeselle in die Müllerstochter verliebt und sie sogar kurz zu gewinnen scheint, sehr positiv. Das macht den Gang auf die Bühne um einiges leichter als in der "Winterreise", die schon in einem absolut hoffnungslosen Zustand beginnt und wo man weiß, dass sich daran in den nächsten achtzig Minuten nichts ändern wird.

Schuen: "Mit Maske proben geht nicht"

Geht die "Winterreise" im Sommer?
Ich habe die "Winterreise" unlängst in Katalonien gesungen, bei 39 Grad Außentemperatur. Das war ungewöhnlich, störte mich aber überhaupt nicht, im Gegenteil. Vielleicht braucht man sogar einen gewissen Leidensdruck, um in die richtige Stimmung zu kommen. Auch im Saal waren die Temperaturen wirklich Schweiß treibend.

Wie sind Sie bislang durch die Coronakrise gekommen?
Ehrlich gesagt, erstaunlich gut. Ich hatte mehrere Auftritte im Livestream, auch wenn dies einigermaßen unbefriedigend ist, und sogar vor Publikum in Spanien, außerdem kam noch Mozarts "Così" bei den Salzburger Festspielen neu hinzu. Und dann habe ich die "Müllerin" eingespielt, mitten im Lockdown war das. Was mich allerdings etwas schockierte, war die Tatsache, dass wir zeitweise mit Maske proben mussten. Ich bin kein Gegner der Coronamaßnahmen, aber wir können unseren Job nicht machen, wenn die Luft nicht frei strömen kann, das ist ein Unding.

Sie waren, auch wegen Corona, schon fast zwei Jahre nicht mehr in Ihrer Südtiroler Heimat. Schmerzt Sie das?
Natürlich, aber ich weiß, dass es meiner Familie im Gadertal gut geht. Und irgendwann werde ich sie ja wiedersehen.

Schuen: "Auch nach 20 Jahren bin ich noch kein Stadtmensch"

Sie werden oft als Südtiroler Naturbursche dargestellt. Passt Ihnen dieses Etikett?
Zum Teil finde ich mich schon darin wider. Ich bin in der Tat sehr gerne in der Natur. Außerdem bin ich kein sehr komplizierter Mensch und kann auch zufrieden sein mit den kleinen Dingen des Lebens. Obwohl ich schon seit zwanzig Jahren in Städten lebe, ist aus mir jedenfalls noch kein Stadtmensch geworden.

Welche Rolle spielt für Sie die ladinische Sprache, die in Ihrer Herkunftsregion gesprochen wird?
Eine wichtige, ich bin schließlich mit diesem seltenen Idiom aufgewachsen und spreche heute noch mit meinen Verwandten fast nur ladinisch.

Sie singen manchmal als Zugabe ladinische Volkslieder. Von was handeln diese Lieder?
Es sind meist Liebeslieder, melancholische Liebeslieder.

Schuen: "Wolfram in Wagners Tannhäuser zu singen wäre ein Traum"

Man fühlt sich ein wenig an den portugiesischen Fado erinnert …
Interessanter Vergleich! Es gibt ohnehin Leute, die meinen, unsere Sprache klänge ähnlich wie das Portugiesische. Aber die beiden Sprachen sind sehr unterschiedlich, von der Tatsache abgesehen, dass es sich um romanische Sprachen handelt.

Sie sind derzeit das, was man einen klassischen Kavaliersbariton nennt, etwa in der Mitte zwischen lyrischem und dramatischem Fach. Wo geht die Reise hin?
Ich versuche schon, mich vorsichtig in die dramatische Richtung zu entwickeln. Mein Traum wäre es, einmal den Wolfram in Wagners Tannhäuser singen zu können. Das wäre dann mein Einstieg ins größere deutsche Fach. Aber die Zeit drängt nicht. Ich bin ja kein Müllergeselle, dem die Angebetete davonzulaufen droht.

Schuens Aufnahme der "Schönen Müllerin" mit dem Pianisten Daniel Heide erschien bei der Deutschen Grammophon. Das Duo interpretiert den Liederzyklus am Montag im Prinzregententheater (2G+, ausverkauft)

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