Barbara Hannighan: Lady sings the Groove
So wird Klassik in Zukunft wunderbar funktionieren: Die Münchner Philharmoniker im MVG-Museum mit einer berauschenden Barbara Hannigan als singende Dirigentin
Stadelheim ist ums Eck. Aber in diesen heiligen Hallen sind historische Busse und Trambahnen festgehalten. Und hier, im MVG-Museum, konnte man einen Blick in die Zukunft der Klassikkonzert-Branche werfen, in der sich alle Existenzängste in junger Publikumsbegeisterung auflösen könnten.
Omnibus heißt "für alle" und das ist dieses Konzert auch
Neben einem alten Omnibus (was ja nichts anders heißt als: „für alle“!“) stehen Bierbankreihen. Für fünf Euro Aufpreis bekommt man in der vorderen Kategorie eine Rückenlehne. Nur zwei Meter vor der ersten Reihe steht die leicht erhöhte Bühne.
Der gebildete, leicht scheue Party-König Otger Holleschek erläutert das Konzert: Die „drei Frauen“ sind „Salome“ (mit Richard Strauss’ „Salomes Tanz“ aus der gleichnamigen Oper, 1905), „Lulu“ (gespielt werden die symphonischen Stücke für Koloratursopran und Orchester von Alban Berg, 1934) und das Girl aus Gershwins Musical-Suite „Girl Crazy“ (1930). Und dann kommt die vierte Frau auf die Bühne vor das dicht gedrängte Orchester: die Dirigentin Barbara Hannigan. Und sie macht das, was jedes Konzert von Anfang an beleben würde. Sie erzählt, wie die Stücke zusammenhängen (die Komponisten kannten sich) und was für sie persönlich wichtig ist: „Lulu ist emanzipiert. Männer fühlen sich in ihrer Gegenwart unfassbar angezogen und gleichzeitig nervös-unheimlich bewegt. Sie ist mir als Person nah.“ Im Gegensatz zur narzisstischen Kopfjägerin Salome, wie Hannigan betont. Und wenn Hannigan gegen Ende „I’ve got Rhythm! singt, dann ist das gemischte Publikum mit einem Altersschwerpunkt zwischen 30 und 50 Jahren enthusiasmiert wie hypnotisiert.
Hannigan spielt perfekt auf dem "Spielfeld Klassik"
Auch wenn Hannigan sich im schulterfreien 20er-Jahre-Kleid am Dirigentenpult exaltiert räkelt, erlebt man keinen Klassik-Zirkus, sondern theatralischen, aber völlig ehrlichen Körpereinsatz auf diesem „Spielfeld Klassik“, wie die Philharmoniker-Reihe heißt. An diesem Abend geht sie mit einer Party zusammen, auf der Hannigan sogar noch mittanzt und trinkt, wie auch viele aus dem Orchester. Interessant war dieses Konzert auch aus akustisch und aus Zuschauer-Sicht: Die relativ niedrige Deckenhöhe in der hundertjährigen Industriehalle Imitieren schrägen, schallreflektierenden Oberlicht-Fensterflächen schafft einen sehr kompakten Sound, als ob man in Super-Hifi-Qualität eine Monoaufnahme hört. Nicht perfekt, aber spannend – und ein Beispiel dafür, dass man wegen des drohenden Philharmonie-Umbaus nicht in Panik geraten, sondern besser Alternativen suchen muss. Diese lassen wohl eher kleinere Formate zu, wobei so die Publikums-Orchesterbindung intensiver nicht sein kann. Und: schweigend Programmlesen ist Silber, mit dem Publikum reden: Gold!
Die Münchner Philharmoniker als "umarmender" Chor
Und wenn ein flexibler, allürenfreier Star wie Barbara Hannigan „Lulu“ und Gershwin zum Publikum singt und dabei noch das Orchester perfekt dirigiert, ist das ein Ereignis, das auch neues Publikum fesseln und binden kann. Auch die Musiker ließen sich von Hannigan inspirieren. Sie mussten als Chor bei „Embraceable You“ einspringen. Und siehe: Man könnte den Philharmonischen Chor einsparen – naja, fast!