Bachs Weihnachtsoratorium mit Simone Kermes
Dem Münchener Bach-Chor gelingt mit exzellenten Solisten eine Morgensternstunde mit dem Weihnachtsoratorium im Gasteig
Es lag schon Spannung in der hohen Luft der Philharmonie, ja Elektrizität ehe die Solisten aus der Seitentür auf die Bühne kamen. Und dann kam er, der energetische Engel: Simone Kermes auf goldenen hohen Sandalen im dreifarbig seidenschimmernden, schleppenumspielten Pompöskleid.
Das wäre nur ein großer Auftritt im Gasteig, wenn dahinter nicht auch Außergewöhnliches stehen würde: Kunst, Kraft und eine Bühnenpräsenz, die manchmal droht, die ersten Zuschauerreihen einzuschüchtern. Denn wenn Simone Kermes singt, kann man sich nicht kulturbürgerlich sein Programm absitzend entspannt zurücklehnen: Die Töne springen einen an – auch emotional.
Trost, Freude und sogar Schutz in kriegerischen Zeiten
Es ist – und Johann Sebastian Bach hätte seine helle Freude – die Botschaft: Hier wird nicht einfach von der Geburt Jesus Christus erzählt, und wir stimmen uns dabei auf Weihnachten ein. Hier wird Existenzielles für jeden Einzelnen verhandelt. Und das aktuell: „Fürchtet Euch nicht!“
Der Sopran-Engel hat noch andere Botschaften: Trost, Freude und sogar Schutz in kriegerischen Zeiten. Denn wenn Simone Kermes von der Macht Gottes singt, die mit einem Handstreich „Menschenmacht wegfegend verlacht“, dann wird der Wink Gottes zum Entscheidungsschlag. Das alles klingt nach vordergründiger Härte. Aber Kermes gelingt eben auch Innigkeit, wenn auch die immer eine innere Stärke hören lässt.
Vielleicht war es der Freude Donnerhall, der Simone Kermes vorauseilt, der die anderen Solisten herausforderte: Alle Solisten des Abends gingen mitgerissen aus sich heraus, riskierten Verzierungen, wagten halsbrecherische Koloraturen auch auszusingen. Das führte zu einer lustvollen Präzision und Präsenz, wie man es in all den guten Jahren des Bach-Chores so gesteigert noch nicht erlebt hat. Auch der Chor artikulierte und intonierte so klar, dass selbst in höheren Rängen ein Programmheft nicht nötig war. Man verstand von der lutherischen, frohen Botschaft jede Silbe.
Lesen Sie auch: Simone Kermes über Bachs Weihnachtsoratorium
Warum aber entstand bei all dieser Perfektion keine emotionale Kälte? Weil der Alt von Anne-Carolyn Schlüter der Marienfigur einen warmherzigen, wenn auch passend modernen jungmutter-stolzen Tonfall gab. Christian Immers starker Bass hatte große himmlische, aber schlanke Würde. Und der Leipziger Landsmann der Kermes, Martin Petzold, erzählte als Evangelist die Weihnachtsgeschichte bewegend und spannend zugleich – und ließ sich auch noch wild-entschlossen in die Koloraturkaskaden seiner Arien fallen.
Lesen Sie auch: So erotosch ist Bachs Weihnachtsoratorium
So gelang eine packende atmosphärische Modernität und Präsenz, die die musikalische Interpretation von Dirigent und Cembalist Hansjörg Albrecht unterstrich: große Gefühle, aber keine Sentimentalität, Tempo ohne Hast – und: Bach darf, wenn er jubiliert, auch rocken. Dazu passte der Ba-Rock-Engel Kermes als Gaststar natürlich perfekt.
Nächstes Konzert des Münchener Bach-Chors: Sa. 30.1., 19 Uhr, Allerheiligen-Hofkirche, Händel: „Dettinger Te Deum“, „Cäcilienode“, Telefon 54 81 81 81 Simone Kermes singt beim Münchner Aids-Konzert mit dem Münchner Kammerorchester Arien von Rossini: 28. April, 20 Uhr, Prinzregententheater, Karten, 35 – 85 Euro, Telefon 46 13 64 30, www.m-k-o.de
- Themen:
- Gasteig
- Prinzregententheater