AZ-Kritik zum Sido-Konzert im Zenith: Einer, der immer noch weiß, wie man München zum Toben bringt

München - Vor den Toren des Zenith tummeln sich gechillte Menschen aller Couleur, manche tragen Werwolfmasken über ihrem weißgetünchten Antlitz, die gruseligen Anhänger ihrer Silberketten klimpern zärtlich, rote Rosen im Haar duften vor sich hin, während das getrocknete Kunstblut am Hals langsam abblättert.
Diese wenigen verkleideten Damen und Herren folgen einem mysteriösen irischen Brauch, der seit kurzer Zeit in unsere Gefilde geschwappt ist, und sie wirken etwas fremdartig zwischen den restlichen Besucherinnen und Besuchern, die überwiegend mit Kapuzenpullis und Baseballkappen ausgestattet sind.
Nach einer Viertelstunde Vorprogramm wird der Stars des Abends bereits auf die Bühne gerufen
Doch halt! Da gab es doch die blankpolierte Totenkopfmaske, jenes einstige Markenzeichen des Mannes, wegen dem alle hier sind. Die Maske ist inzwischen einem väterlichen Vollbart gewichen. Schon eine gute halbe Stunde vor Beginn ist die Stimmung im Auditorium für ein Rapkonzert ungewöhnlich ausgelassen und vergnügt, beinah wie vor einem großen Festmahl mit dem Hauptgang Sido, der neuerdings unter seinem echten Namen Paul Würdig agiert.
Nach einer Handvoll dezenter Vorspeisen in Form eines etwas bemüht wirkenden Stand-up-Comedians, gefolgt von zwei handwerklich ordentlich performenden Rappern namens UVT, die der Meister persönlich unlängst in seinem Label "Def Jam Germany" unter Vertrag genommen hat. Das gesamte Vorprogramm dauert gerade mal eine Viertelstunde, als plötzlich ein Bursche auf die Bühne hüpft und militärisch ins Mikro brüllend den Star des Abends im Stil des Boxkommentators Michael Buffer ("Let´s get ready to rumble") ankündigt.
Sido-Konzert im Zenith: Schon bald tobt die ganze Halle
Schon steht der mit 42 Jahren noch immer junge Altmeister da wie ein Einser. Bestens gelaunt, in weißem Outfit, samt lässig seinen Oberkörper umschmeichelnder Seidenbluse und schweinscooler Sonnenbrille haut er gleich zu Beginn – mit der Unterstützung seines DJs Desue an den Plattenspielern und am Rap-Mikro – den ersten Chartbreaker raus: Bilder im Kopf.
Sido versteht es, die Temperatur geschickt und kontinuierlich zu erhöhen, etwa, indem er immer wieder die verschiedenen Bereiche im Zuschauerraum anspricht, die im linken Teil stehenden sind "die Lauten", dafür sind die im rechten Teil stehenden "die Schönen" und die im hinteren Teil des "viel zu langen Zeniths" befindlichen die "Reichen, die sich nicht mehr bewegen müssen". Das lassen die freilich nicht auf sich sitzen und bald tobt die gesamte Halle.
Beim Konzert in München mischt Sido alte Klassiker mit neuen, ernsteren Songs
In jeder Nuance, jeder Zwischenansage, jedem Kommentar des Künstlers ist zu spüren, dass er dankbar für den jahrzehntelangen Erfolg ist und sein Publikum aus voller Überzeugung liebt, sowohl die "mit dem einen oder anderen grauen Haar", als auch die "mit der einen oder anderen Zahnspange". Kein Spruch wirkt auswendiggelernt, nichts ist gekünstelt oder auf einen Effekt hin manipuliert aufgesagt. "Ich habe Dummheiten gemacht und ihr seid immer noch da. Ich werde noch mindestens 20 Jahre Dummheiten machen und dann seid ihr hoffentlich immer noch da."
Für die erstklassigen Choräle sorgen Karen und Adesse, während der Frontmann die volle Bandbreite an gutem Hip-Hop bietet, die sich seine Fans wünschen. Freilich gibt es auch einige neue Songs, die einen deutlich ernsteren Kontext haben als früher, von Beziehungs-, Vater- und Drogenproblemen handeln, diese werden allerdings gekonnt gemischt mit seinen Oldschool-Klassikern wie "Leiche im Keller", "Schlechtes Vorbild" und das Mut und Zuversicht spendende "Herz".
Nach dem Konzert im Zenith gibt es noch Sido-Adventskalender
Für das Zenith ungewöhnlich aufgestellte Seitenmonitore sorgen für perfekten Genuss aller Anwesenden, da die Show somit auch für die hinten Stehenden hervorragend transportiert wird, dazu eine beachtliche Lightshow samt Nebelschwaden, gepaart mit wirklich höchst erfreulich gutem Sound, der diesen wunderbaren Abend vollendet abrundet. Die Animierbilder zur Musik sind bald verspielt, bald schlicht und manchmal virtuos, einmal springen Menschenschatten vorbei wie in einem Kinderspiel, als hätte sie der frühe Rainer Werner Fassbinder persönlich inszeniert.
Ein paar Worte bairisch lässt sich der Berliner nicht nehmen, was ein weiteres erfrischendes Detail einer energetisch grandiosen Show samt liebevollem Frontmann, der den Raum ohne viel Schnickschnack beherrscht wie ein Tantrameister, ein Schiffskapitän oder ein Herbergsvater. Ein erfrischend gnadenloses Freudenfest, das mit einem von der fidelen Masse eingeforderten sehr frivolen Schlusslied endet, in dem es um eine allem Anschein nach von Sido bevorzugten Sexualpraktik geht, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll.

Zufrieden und beschwingt flanieren die Sidofans nach draußen in die für die Jahreszeit immer noch milde Herbstnacht und so mancher kauft sich noch als Vorbereitung auf die Weihnachtszeit für 10 Euro einen klassisch mit Schokolade gefüllten Sido-Adventskalender. In manchen Ohren klingen noch schöne Zeilen des Songs "Herz" nach: "Du musst auf dein Herz hörn, hör wie es schlägt, wie es fleht, wie es schreit. Hör wie es lebt, wie es lacht, wie es weint. Auch wenn du es willst, da misch ich mich nicht ein. Wie du es machst, wird es schon richtig sein."