Auf dem ersten Platz

Wie das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks außerhalb Münchens wahrgenommen wird: Eindrücke von einer Reise mit den Musikern nach London und ins schottische Edinburgh
Marco Frei |
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Manchmal muss man in die Ferne schweifen, um das Gute daheim noch mehr zu würdigen. In Großbritannien haben das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Chefdirigent Mariss Jansons viel Lob und Zuspruch eingeheimst. Selbst im etwas unterkühlten schottischen Edinburgh war das Publikum aus dem Häuschen. Die ehrwürdige Usher-Hall, wo die England- und Schottlandtour des BR unter Jansons endete, tobte buchstäblich.

Ein Kritiker der Zeitung „The Guardian“ pries den Klang des Orchesters, den er zum „kultiviertesten in Europa“ zählte. Michael McManus von der Musikzeitschrift „Gramophone“ ging sogar noch weiter: „Ich bin der Meinung, dass es derzeit in London kein besseres Orchester gibt“, betonte er im Gespräch – womit er letztlich auch sagen könnte, dass es im ganzen Königreich kein besseres gebe. Denn mit dem London Symphony Orchestra, The Philharmonia und dem London Philharmonic Orchestra sind drei Ensembles in der britischen Hauptstadt ansässig, die derzeit weltweit große Anerkennung genießen. Beim Orchester-Ranking von „Gramophone“ belegte das London Symphony Orchestra 2008 noch den vierten Platz, das Symphonieorchester des BR kam damals auf den sechsten Rang.

Die Musiker aus München waren zugleich das einzige Rundfunk-Ensemble, das in das Ranking aufgenommen wurde – obwohl die BBC fünf Orchester hat. Am BR-Symphonieorchester schätzt McManus eine „ganz besondere Arbeitsmoral und Arbeitsethik“. Sie hätten einige fantastische, exzellente Solisten, und bei ihnen herrscht eine gesunde Mischung aus älteren Musikern und der jüngeren Generation vor. „Und mit Mariss Jansons hat der BR einen inspirierten Leiter. Die Londoner Orchester können zweifellos einen großen Klang erschaffen, aber im Piano? Die Abstufungen im Klang ließen sich optimieren.“

Die Worte von McManus sind für die britischen Toporchester eine kräftig schallende Ohrfeige. Für diese Entwicklung ist indessen auch eine Kulturpolitik verantwortlich, die auf ganzer Linie versagt hat. Schon 2010 hatte die britische Regierung angekündigt, den Haushalt für Kunst und Kultur um 30 Prozent zu kürzen. Bei den Orchestern führte das zu Einschnitten von rund 25 Prozent. Auch für britische Verhältnisse sind das gewaltige Größenordnungen, obwohl die Kultur im vereinten Königreich traditionell weniger öffentlich gefördert wird als im Rest Europas – zumal bei uns in Deutschland. Seit jeher müssen sich die britischen Klangkörper auch um private Geldmittel bemühen.

Die Kürzung öffentlicher Gelder stellt nun aber eine ernsthafte Bedrohung für das britische Orchesterleben dar. Unter den Musikern macht sich zusehends Angst und Unsicherheit breit, was stets Gift für die Weiterentwicklung der Qualität und die Kultivierung des Klangs ist. Nicht zuletzt beobachtet McManus zudem eine Programmplanung, die immer konservativer werde und auf Gewohntes setze – um Konzertbesucher oder Sponsoren ja nicht zu verprellen. Das ist die Kehrseite eines Systems, das verstärkt auf private Mittel setzt.

Für Deutschland, das in aller Welt für sein reiches Orchesterleben beneidet wird, müsste das eine Warnung sein: Denn auch bei uns wird schon eifrig am System gerüttelt. Vor einigen Jahren sollte das Münchner Rundfunkorchester aufgelöst werden. Aus einer Fusion zweier Orchester ist die Deutsche Radio Philharmonie entstanden. Und nun fusioniert der SWR seine Orchester in Stuttgart sowie in Freiburg und Baden-Baden.

Manche Politiker und Intendanten sollten erst durch Europas Klassikwüsten reisen, bevor sie auf die Kultur losgelassen werden – damit sie begreifen, was sie anrichten können. Auch in Holland, wo Jansons das Concertgebouw Orkest in Amsterdam leitet, regiert bereits der Rotstift.

Beim Ranking von „Gramophone“ siegten 2008 noch die Amsterdamer. Umso erstaunlicher waren die Worte Jansons’ auf der letzten Probe in Edinburgh: „Jetzt waren Sie auf dem ersten Platz“, sagte er den Musikern des BR zum Tour-Finale.

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