ARD-Musikwettbewerb: Endlich viele erste Preise!
München - Lange stand der Internationale Musikwettbewerb der ARD in der Kritik, übertrieben hohe Maßstäbe anzulegen. Oft wurden in den einzelnen Fächer keine ersten Preise verliehen, obwohl Bewerberinnen und Bewerber, die teilweise bereits Solostellen an Top-Orchestern ausfüllten, kaum perfekter und inspirierter hätten spielen können. Mittlerweile zeichnet sich eine Trendwende ab: Ein weiteres Mal wurden auch heuer in allen Fächern erste Preise vergeben. Hat die Kritik Wirkung gezeigt?
Nach Kritik: Es gibt wieder viele erste Preise
Und nun kann man es den unabhängigen Beobachtern doch wieder nicht recht machen. Zumindest könnte man sich gut vorstellen, dass das Geister Duo aus Paris früher einen guten zweiten Platz errungen hätte. Es gibt nicht wirklich etwas auszusetzen, wie die beiden jungen Männer das Konzert für zwei Klaviere und Orchester Es-Dur von Mozart angehen, auch nicht daran, dass sie weniger zu einem einzigen Instrument verschmelzen als ihre jeweiligen Eigenarten bewahren. Aber ihr Ton bleibt verbindlich, ihre Gestaltung bordet nicht gerade vor Einfällen über.
Wie junge Virtuosen ihren Interpretationen noch den letzten Kick geben können, demonstrieren Kollegen. Pascal Deuber, seit zwei Jahren Solohornist des Bayerischen Staatsorchesters, jongliert nicht nur aufreizend gelassen mit den grausamen Schwierigkeiten des zweiten Hornkonzerts Es-Dur von Richard Strauss. Zwischen verwegenem Schmettern und leichter Konversation lotet er sämtliche Klangmöglichkeiten aus und gestaltet damit den Solo-Part so frei und anschaulich wie ein sängerischer Charismatiker seine Rolle in einem Operneinakter. Kein Wunder, dass da zum ersten noch der Publikumspreis hinzukam.
Dem Geiger Seiji Okamoto ist eine bloße Deutung des Violinkonzerts von Paul Hindemith gar nicht genug. Mit seinem unverwechselbaren, insistierenden, stark gewürzten Ton kämpft er gegen die kühle, technokratisch wirkende Arbeitshaltung an, die der Komponist dem Werk mitgegeben hat. Nicht zuletzt beweist er Ausdauer, wenn er sich in jedem Moment gegen das Symphonieorchester des BR behauptet, dessen Massen der an diesem Abend dirigierende Konzertmeister Radoslaw Szulc im Herkulessaal nicht immer dosieren kann.
Trendwende hin oder her: Anastasiya Taratorkina hätte man wohl auch früher nicht mit einem zweiten Platz abspeisen können. Die gebürtige Russin kann ihren Sopran offenbar nach Belieben und in kürzester Zeit vollständig verwandeln: Fragil und flehend verkörpert sie die Anne Trulove in einer Szene aus "The Rake's Progress" von Strawinsky, deutlich belcantistisch fülliger die Norina aus "Don Pasquale" von Donizetti. Der Publikumspreis, den sie auch bekam, war ihr sicher gewesen: Selbst unter Alltags-Masken spürt man, wie die Hörerinnen und Hörer lächeln, wenn Anastasiya Taratorkina kätzchenhaft mit den Koloraturen spielt.