Anne Netrebko und Yusif Eyvazov im Großen Festspielhaus
Fast hat man sie vermisst, die Luxuskarossen vor dem Großen Festspielhaus und den Aufmarsch der Prominenz. In der infolge der Corona-Pandemie stark heruntergedimmten Salzburger Festspielsaison 2020 schienen die Reichen und Schönen, die wirklich Wichtigen und die Adabeis beinahe in der Versenkung verschwunden.
Doch pünktlich zur Gala von Anna Netrebko und ihrem Mann, dem Tenor Yusif Eyvazov, tauchten sie wieder auf, zumindest ein paar von ihnen, darunter "Stararchitekt" Sir Norman Foster nebst Gattin und Fürstin Gloria von Thurn und Taxis – aufgekratzt wie immer und angetan mit einem Hauch von Mund-Naseschutz aus Plexiglas.
Blinkende Leuchtdioden
Die Buhlschaften im Salzburger "Jedermann" sind ja mittlerweile dem Gender-Mainstreaming verpflichtet und in punkto fraulicher Reize nur noch ein Schatten einstiger Pracht. Das kann man von Anna, der göttergleichen, wahrlich nicht sagen. Sie prunkt mit ihrer Weiblichkeit, diesmal in einem weit ausgestellten hellblau-silbernen Kleid mit Spitzenornamentik, in dem sie etwas steif übers Parkett schwebte wie die mechanische Puppe namens Olympia aus der Oper "Hoffmanns Erzählungen". Eyvazov trug einen perfekt sitzenden Smoking; am Absatz seiner Lackschuhe blinkten rote Leuchtdioden.
War da noch was? Ach ja, musiziert und gesungen und wurde natürlich auch an diesem sündteuren Galabend. Es gab Arien und Duette aus Tschaikowsky-Opern und ein paar dazu passende Orchesterstücke. Am Pult stand ein bedeutsam fuchtelnder russischer Maestro namens Mikhail Tatarnikov, der ausweislich des Programms im Jahre 2013 die russische Erstaufführung von Benjamin Brittens hochgradig schwuler Oper "Billy Budd" geleitet hatte.
Das durfte als kleine Sensation in dem homophoben Land gelten, das zwar den unglücklich und heimlich Männer geliebt habenden Tschaikowsky zum Nationalhelden verklärt, ansonsten aber über gleichgeschlechtliche Extravaganzen den Mantel des Schweigens deckt.
Diesen Mantel breitet man lieber auch über Tatarnikovs Dirigat, das vor allem eins war: laut. Damit deckte er die Sänger so nachhaltig zu, dass die nicht anders konnten, als selbst den Lautstärkeregler bis zum Anschlag aufzudrehen.
Im Zweifel laut
Am besten gelangen noch Szene und Duett von Lisa und Hermann "Bleiben Sie stehen, ich flehe sie an" aus dem ersten Akt von "Pique Dame", einer immer noch unterschätzten, aber wegen ihrer ambitionierten Harmonik doch interessantesten Oper aus Tschaikowskys Feder. Die Briefszene der Tatjana aus "Eugen Onegin" lieferte Netrebko recht routiniert ab, während ihr Mann die Arie des Lenski "Wohin, wohin seid ihr entschwunden" mehr als passabel sang.
Man gewann den Eindruck, dass sich der Aserbaidschaner mittlerweile von der ihm zugeschriebenen Rolle als Netrebko-Anhängsel emanzipiert hat. Am Schluss gabs noch ein Häppchen aus "Iolanta" und nach nicht einmal eineinhalb Stunden war alles vorbei. Keine Zugaben.
Sicher, die Netrebko betörte wie eh und je mit ihrem Schmelz, der ungeheuren Modulationsfähigkeit ihrer Stimme, ihrer Durchschlagskraft, ihrer Präsenz. Doch im Zusammenspiel mit dem unablässig dröhnenden Mozarteumorchester Salzburg blieben Zwischentöne meist auf der Strecke – zumal Tatarnikov die Ballett-Zwischenspiele dirigierte als wär’s die "Ouvertüre 1812".
Eigentlich fehlten nur die Kanonen. Mit Wehmut erinnerte man sich an die liebevolle Finesse, mit der Christian Thielemann zusammen mit den Wiener Philharmonikern am vergangenen Wochenende die großartige Elina Garanca durch Richard Wagners "Wesendonck-Lieder" getragen hatte.
Das war große Kunst, die Netrebko-Gala nur Können.