Annäherungen an ein Festival
Er ist ein großer Musiker. Als Primarius und Gründer des Keller-Quartetts hat András Keller diskografische Geschichte geschrieben. Die Gesamteinspielung des Ensembles der sechs Streichquartette von Béla Bartók aus den 1990er Jahren zählt bis heute zu den gewichtigen Referenzen. Überdies leitet Keller das Concerto Budapest. Mit diesem traditionsreichen Klangkörper eröffnet er jetzt das erste Festival „Bartók for Europe“ in München.
Als künstlerischer Leiter verantwortet Keller diese Reihe, und wenn man mit ihm darüber spricht, kann es schnell hitzig werden – auf beiden Seiten. Dabei hatte man zuvor kritische Fragen vorsorglich durch das Pressebüro kommuniziert, ohne Erfolg. Von Anfang an ist die Stimmung gereizt, bald hochexplosiv. Nach zwanzig Minuten ist ein Abbruch des aufgezeichneten Gesprächs die einzig sinnvolle Lösung.
Ein Pazifist aus Ungarn
Schon die Frage nach der Finanzierung des Festivals wird als Provokation empfunden. Gefördert wird die Reihe von der ungarischen Regierung. Sie hat 2016 zum Bartók-Jubiläum erklärt, weil der bedeutende Komponist vor 135 Jahren geboren und vor 70 Jahren gestorben ist. Doch da gibt es ein Problem: Bartók war ein bekennender Anti-Nationalist und Pazifist, was auch in seinem Schaffen hörbare Spuren hinterlassen hat.
Wegen des auch in Ungarn zusehends schwärenden Faschismus und Autoritarismus hat Bartók 1940 seine Heimat in Richtung USA verlassen. Dass nun ausgerechnet die Regierung von Victor Orbán das Schaffen Bartóks propagiert, hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Seit Jahren werfen EU-Parlamentarier, Menschenrechtler sowie berühmte Musiker wie András Schiff oder Iván Fischer der Regierung Orbáns vor, einen Rechtspopulismus und EU-skeptischen Nationalismus zu kultivieren – samt Aushebelung zentraler Bürgerrechte.
Ungarisch und europäisch
Auf der Internet-Seite des Bartók-Festivals werden die zentralen Werte erklärt, für die Bartók stehe, nämlich: „die „Wahrung von nationalem Charakter und unserem Erbe“. Auf diesem Fundament solle ein echtes, authentisches europäisches Zusammenwirken erwachsen. Die Musik Bartóks sei auf „europäische Weise ungarisch und auf ungarische Weise europäisch“, heißt es. Die Beschäftigung Bartóks mit ungarischer Volksmusik wird erwähnt, um zugleich einen Brief von 1931 zu zitieren.
Darin betont Bartók, dass er sich keinem Einfluss entziehe – ob slowakisch, rumänisch, arabisch oder „sonst irgendeine Quelle“. Eine „Verbrüderung der Völker“ habe er im Sinn, so Bartók. Wie das alles zusammenpasst, bleibt offen. Stattdessen wurde gegen Ende des Gesprächs die Gegenfrage gestellt, warum das Bartók-Festival nicht von hiesiger Seite gefördert werde – weder vom Münchner Kulturreferat noch vom Freistaat.
Vor dem politischen Hintergrund sind diese Entscheidungen durchaus verständlich. Über die Politik aber möchte Keller nicht reden, sondern einzig über die Musik, und genau hier fangen die Probleme an. Da wirbt nun ein Festival um „Völkerverständigung“, um im Rahmen einer „Ungarischen Rhapsodie“ ausschließlich Kammermusiken von Komponisten zu präsentieren, die aus Ungarn stammen (27. September).
Neben Bartók, Zoltan Kodály, Franz Liszt, Peter Eötvös und György Kurtág stehen auch Werke von György Ligeti auf dem Programm. Bekanntlich hat Ligeti wie Bartók seine ungarische Heimat aus politischen Gründen verlassen, nämlich 1956 nach der blutigen Niederschlagung des Ungarn-Aufstands durch sowjetische Truppen. Dies berührt Bartóks „Divertimento“, das am 28. September vom Münchener Kammerorchester (MKO) gespielt wird.
Volksmusik und Kunstmusik
Es ist eine vielfach verdüsterte Musik, die Bartók 1939 komponiert hat – kurz vor seinem Gang ins Exil. So spricht das Programm paradoxerweise an, worüber die Festival-Leitung nicht reden möchte. Zugleich verwundert es, dass beim Festival keines der Streichquartette von Bartók erklingt, obwohl sie zum absolut Größten der Gattung zählen. Und ähnlich ließe sich über das Finale mit den Münchner Philharmonikern unter Pablo-Heras-Casado diskutieren (29. September).
Auch hier stehen ausschließlich ungarische Komponisten auf dem Programm. Mit Ligetis „Concerto Românesc“ für Orchester aber erklingt ein folkloristisch gefärbtes Werk, das konsequent hörbar macht, wie sehr sich gerade auch in Osteuropa die Volksmusiken verschmelzen und eben nicht abschotten. Was in diesem Werk rumänisch oder ungarisch, slawisch, jüdisch oder christlich ist, bleibt faktisch offen.
Tiefe Gräben
Die Grenzen sind fließend, und genau das wollte der Kosmopolit Ligeti ausdrücken. Wie das zu einer Politik passt, die noch im 21. Jahrhundert auf Abschottung setzt, diese Frage drängt sich geradezu auf – eben durch das Festival-Programm selber. Besonders sinnstiftend sind zwei Konzerte programmiert, nämlich des MKO (28. September) und der Philharmoniker aus London (26. September). Letztere konfrontieren Bartók mit Claude Debussy, zumal die Suite aus „Der wunderbare Mandarin“ teils vom Impressionismus inspiriert ist.
Indessen haben die verunglückten Gespräche im Vorfeld einmal mehr offenbart, wie tief inzwischen die Gräben innerhalb der Europäischen Union sind. Zusehends stehen sich konträre Demokratie-Verständnisse und Werte-Auffassungen unversöhnlich gegenüber. Umso dringender wäre es, der perspektivreichen Musik von Bartók umfassend Gehör zu schenken. Deswegen hält MKO-Geschäftsführer Florian Ganslmeier die Diskussion um die Finanzierung des Bartók-Festivals für unerheblich.
„Hier wird das Wirken und Schaffen eines Komponisten gepflegt und propagiert, der zu den größten des 20. Jahrhunderts zählt“, betont er. Sein Schaffen sei von hochaktuellen, inneren und äußeren Faktoren geprägt. „Es lohnt sich sehr, der Musik von Bartók zuzuhören – gerade weil sie sich jedweder vordergründigen politischen Vereinnahmung klar entzieht und zugleich Werte berührt, die wir in Europa vielfach wachhalten müssen.“
Karten unter www.bartokforeurope.com und Telefon 54 818181
Das Programm des Festivals
Sonntag, 25. September
„Herzog Blaubarts Burg“,
Eröffnungsabend mit Concerto Budapest: Beethoven, Symphonie Nr. 1 C-Dur op. 21, Liszt, Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur (Dénes Várjon, Klavier), Bartók, „Herzog Blaubarts Burg“ (Petra Lang, Sopran, Gidon Saks, Bass),
Dirigent: András Keller, Philharmonie, Gasteig, 20 Uhr
Montag, 26. September
„Der Wunderbare Mandarin“, London Philharmonic Orchestra: Debussy, Prélude à l’Après-midi d’un faune, Beethoven, Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15 (Valery Afanassiev, Klavier), Debussy, Iberia, Bartók, Der Wunderbare Mandarin, Suite,
Dirigent: Vladimir Jurowski, Gasteig, 20 Uhr
Dienstag, 27. September
„Ungarische Rhapsodie“
Kammermusik von Bartók und György Kurtag, Peter Eötvös, György Ligeti mit András Keller, Dénes Várjon, Szabolcs Zempléni und Miklós Perényi,
Allerheiligen Hofkirche, 18.30 Uhr
Mittwoch, 28. September
„Bartóks Quellen“, mit dem Muzsikás Ensemble (Mihály Sipos, László Porteleki, Péter Éri, Dániel Hamar, Maria Petrás – Gesang).
Allerheiligen Hofkirche in der Residenz, Marstallplatz, 18.30 Uhr, danach:
„Divertimento“
Münchener Kammerorchester: Haydn, Sinfonie Nr. 52 in c-Moll, Sándor Veress; Passacaglia concertante, Mozart, Oboenkonzert C-Dur KV 314 (Solist: François Leleux, Oboe), Bartók, Divertimento für Streicher, Leitung/Konzertmeister: Daniel Giglberger, Allerheiligen Hofkirche, 20 Uhr
Donnerstag, 29. September
„Concerto“
Münchner Philharmoniker
Ligeti, Concerto Românesc für Orchester, Bartók, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 (Solist: Javier Perianes, Klavier) Bartok, Concerto für Orchester Sz 116
Musikalische Leitung: Pablo Heras-Casado