Kritik

Anna Maria Sturm: Das Debüt ist eine Sensation

Die Schauspielerin verließ Berlin und hat in ihrer Oberpfälzer Heimat eine Band gegründet
Dominik Petzold
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Anna Maria Sturm.
Jeanne Deegra 5 Anna Maria Sturm.
Das Sturm-Projekt: Anna Maria Sturm mit Peter Gall (links), Nicola Andrioli und Sven Faller.
Dovile Sermokas 5 Das Sturm-Projekt: Anna Maria Sturm mit Peter Gall (links), Nicola Andrioli und Sven Faller.
Von 2010 bis 2013 spielte Anna Maria Sturm an der Seite von Matthias Brandt im Münchner "Polizeiruf 110". Dann verließ sie die Reihe und bereute es später sehr.
imago stock&people 5 Von 2010 bis 2013 spielte Anna Maria Sturm an der Seite von Matthias Brandt im Münchner "Polizeiruf 110". Dann verließ sie die Reihe und bereute es später sehr.
Anna Maria Sturm während eines Interviews zum Kinofilm "Wackersdorf". In dem Film spielte sie ihre Mutter.
picture alliance/dpa 5 Anna Maria Sturm während eines Interviews zum Kinofilm "Wackersdorf". In dem Film spielte sie ihre Mutter.
Die Schauspielerin Anna Maria Sturm (l.) und ihre Mutter Irene Maria Sturm. In dem Film spielte sie ihre Mutter.
picture alliance / Daniel Karmann/dpa 5 Die Schauspielerin Anna Maria Sturm (l.) und ihre Mutter Irene Maria Sturm. In dem Film spielte sie ihre Mutter.

Wer von Berlin in die ländliche Oberpfalz zieht, dessen musikalische Möglichkeiten werden geringer, um es vorsichtig auszudrücken. So auch bei Anna Maria Sturm, der bekannten Schauspielerin und leidenschaftlichen Sängerin. 2020 zog sie zurück in ihren Heimatort Schwandorf, eine Kleinstadt mit 30 000 Einwohnern, ziemlich genau in der Mitte der Oberpfalz. In der Umgebung gibt es nur Natur und Dörfer, wenige Kilometer entfernt wollte die CSU mal eine Wiederaufbereitungsanlage bauen lassen, in Wackersdorf: Die Älteren erinnern sich. Die nächste größere Stadt Regensburg ist fast 50 Kilometer entfernt. "Als ich aus Berlin nach Schwandorf gezogen bin, dachte ich, es ist vorbei", sagt Anna Maria Sturm. "Ich dachte, meine musikalische Karriere ist begraben."

Das Schicksal schert sich nicht um Stochastik

Denn wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, in den Weiten der Oberpfalz auf professionelle, inspirierte musikalische Mitstreiter zu treffen? "Null", sagt Sturm, "sie geht gegen Null." Doch das Schicksal schert sich nicht um Stochastik, und so entstand ausgerechnet hier ihr neues Projekt Sturm und ein Album zwischen Jazz, Pop, Chanson und New Wave. Und das ist nichts weniger als: sensationell. Und alles begann, weil die Schauspielerin in einer Krise steckte.

Von 2010 bis 2013 spielte Anna Maria Sturm an der Seite von Matthias Brandt im Münchner "Polizeiruf 110". Dann verließ sie die Reihe und bereute es später sehr.
Von 2010 bis 2013 spielte Anna Maria Sturm an der Seite von Matthias Brandt im Münchner "Polizeiruf 110". Dann verließ sie die Reihe und bereute es später sehr. © imago stock&people



Bekanntgeworden war sie seit 2007 durch ihre Hauptrollen in Marcus H. Rosenmüllers "Beste Zeit"-Trilogie und später an der Seite von Matthias Brandt im Münchner "Polizeiruf 110". Doch 2014 gab sie den sicheren TV-Job auf, auch weil sie Angst hatte, immer auf die Rolle des bayerischen Mädchens vom Land festgelegt zu werden. Aber auch weil sie glaubte, ansonsten niemals ihrer musikalischen Leidenschaft nachgehen zu können. 2014 erschien das Debüt des "Anna Maria Sturm Quintetts", daneben gründete sie das Trio "Love&Lost". Und drehte natürlich weiter für Fernsehen und Kino, zum Beispiel den Film "Wackersdorf", für den sie den Dialekt nicht erst lernen musste. Doch nach Ausbruch der Pandemie 2020 wurden all ihre Engagements abgesagt.

"Ich dachte, alles verbockt zu haben"

Die heute 41-Jährige zog mit ihrer Tochter zurück in die Nähe der Eltern. "Ich hatte nichts mehr", sagt sie im Gespräch im Münchner Stadtcafé, wohin sie extra aus Schwandorf gekommen ist. "Meine Identität als Schauspielerin war gefühlt dahin." Geld war auch nicht mehr übrig, und so begann sie in der Fabrik eines alten Kumpels im oberpfälzischen Kümmersbruck zu arbeiten. Sie verpackte Spiele und haderte schwer, auch mit der Entscheidung, den sicheren Job im "Polizeiruf" hingeworfen zu haben. "Ich dachte, alles verbockt zu haben. Ich fragte mich: Bin ich so undankbar, dass ich die Geschenke nicht annehme, die mir das Leben so hinwirft? Ich dumme Kuh!"

Die Schauspielerin Anna Maria Sturm (l.) und ihre Mutter Irene Maria Sturm. In dem Film spielte sie ihre Mutter.
Die Schauspielerin Anna Maria Sturm (l.) und ihre Mutter Irene Maria Sturm. In dem Film spielte sie ihre Mutter. © picture alliance / Daniel Karmann/dpa



Doch das Leben warf ihr ein weiteres Geschenk hin: einen Jazzmusiker von Spitzenniveau, der ausgerechnet in Schwandorf lebt. Sturm lernte Sven Faller bei einer Veranstaltung im "Oberpfälzer Künstlerhaus" kennen. Er hatte in New York Musik studiert und in legendären Clubs wie dem Sin-é gespielt, hat mit Jazzstars wie Larry Coryell und John Patitucci gearbeitet und nach seiner Rückkehr nach Deutschland mit Konstantin Wecker, Pippo Polina und Georg Ringsgwandl. Bei einem Konzert in Schwandorf lernte er eine Frau kennen. Er zog zu ihr nach Schwandorf und nimmt hier seither Musik auf, zum Beispiel für Filme.

Nach dem Gespräch im Künstlerhaus lud er Anna Maria Sturm ein. "Als ich sein Tonstudio gesehen habe, bin ich auf den Boden gefallen und habe gesagt: Danke, lieber Gott!" Die beiden nahmen den Song "Er fällt" auf. "Mir war sofort klar, wir müssen eine Band gründen", sagt sie. "Ich habe es als Wink des Schicksals empfunden, als ich Sven getroffen habe. Alles, was mir geblieben war, waren die Emotionen und die Texte, und dann hat sich aus dem Nichts dieses Projekt herauskristallisiert. Und die Zeit wurde unheimlich schön und kreativ."

Faller komponierte Musik zu den Texten, die sie geschrieben hatte. Zum Beispiel das "Hasslied" über den Hader mit ihren Lebensentscheidungen: "Ich hasse Euch, ich hasse Dich / doch am meisten hasse ich mich", heißt es im Refrain, und Faller verpackte das in nervös-treibende Musik. Manchmal schrieb auch sie Texte zu seinen fertigen Kompositionen, und als sie alles vorbereitet hatten, luden sie zwei Musiker nach Schwandorf, die sie für das Projekt "Sturm" ausgewählt hatten: den Berliner Schlagzeuger Peter Gall und den italienischen Keyboarder Nicola Andrioli, der in Brüssel lebt. Sie hatten nur zwei Tage - doch das reichte diesen Topmusikern, um die elf Songs des Albums "Nur mich" aufzunehmen.

Das Sturm-Projekt: Anna Maria Sturm mit Peter Gall (links), Nicola Andrioli und Sven Faller.
Das Sturm-Projekt: Anna Maria Sturm mit Peter Gall (links), Nicola Andrioli und Sven Faller. © Dovile Sermokas



Darunter ist die wunderschöne Ballade "Song in G", ein Kunstlied, dessen Melodie Folk-Einflüsse erahnen lässt und das im Klavier-Solo eine jazzige Wendung nimmt. "The Day" ist elegischer Pop, "Ich dreh mich" fröhlich-verspielt, zu den beiden Songs hat ausnahmsweise Faller die Texte geschrieben. Besondere Höhepunkte sind der so aggressive wie coole New Wave-Rock von "Connard Laqué", die zauberhafte Ballade "Sad Princess" und das traurig-schöne, ja ergreifende "Viel besser", in dem Sturm so abgeklärt wie verzweifelt eine vergangene Liebe betrauert: "Alles was ich sehe, werde ich niemals mit Dir sehen", singt sie, oder, tieftraurig-resigniert: "Eins zusammen wird's nie geben / Es ist auch so ein schönes Leben". Das ist einer von mehreren Momenten, bei dem man eine Gänsehaut kriegen kann.

Auf Englisch und Französisch fast noch toller als auf Deutsch

Kurzum: Das Album ist atemberaubend gut und auf einem Niveau, wie man es in Deutschland selten hört. Die Songs sind stilistisch bunt, virtuos gespielt und toll gesungen, und selbst die jazzigeren Nummern sind eingängig. Anna Maria Sturms Stimme klingt in den drei Sprachen des Albums sehr unterschiedlich - und auf Englisch und Französisch fast noch toller als auf Deutsch. Die Muttersprache ist ihr wichtig, "da komme ich meinen Gefühlen ziemlich nah". Und der Hörer kommt ihrem Leben ziemlich nah, wenn sie etwa in "Er fällt" singt: "Ich lauf' wie ein Trottel immer wieder zu ihm hin / Ich spür's doch ganz genau, er will so gar nicht mit mir gehen".

Anna Maria Sturm während eines Interviews zum Kinofilm "Wackersdorf". In dem Film spielte sie ihre Mutter.
Anna Maria Sturm während eines Interviews zum Kinofilm "Wackersdorf". In dem Film spielte sie ihre Mutter. © picture alliance/dpa



Ist das nicht ein bisschen viel Ehrlichkeit für eine Frau der Filmwelt, in der man sich meist als erfolgreich präsentiert, als attraktiv bis unerreichbar? "Ja, aber ich wollte ehrlich sein, weil mich das sonst auch nicht interessiert", sagt Sturm. "Ich muss nicht tun, als ob ich perfekt wäre, ich bin's halt nicht. Mir hat es so gutgetan, das alles in eine künstlerische Form zu bringen. Mir ging's noch nie so gut wie in dieser Schaffensphase, es war wie eine Katharsis. Andere gehen zum Therapeuten."

Ein hartes Business

Und so ist sie jetzt rückblickend froh, dass alles so gekommen ist. Dass sie beim "Polizeiruf" aufgehört hat, dass sie danach Zeit hatte, Gesang zu üben, dass sie die Musik neben dem Film hat. "Man fühlt sich da oft wie ein Spielball: Wenn es passt, wird man besetzt, sonst halt nicht", sagt sie. "Ich habe viele schöne Erfahrungen mit Film und Theater gemacht, aber es ist ein hartes Business. Bei zehn Castings nicht genommen zu werden, ist für die Psyche nicht gut. Man weiß auch gar nicht: Was soll man da konkret üben? In der Musik kann man Tonleitern üben, darüber bin ich glücklich."

Gerade singt sie auch erstmals in einem Musical, "Cabaret" im Theater Leipzig - "eine tolle Erfahrung, weil ich die beiden Welten aus Musik und Schauspiel kombinieren kann". Drehen will sie auch weiterhin, wenn die richtigen Angebote kommen, wie zuletzt mit dem französischen Film "La Photographe". Und mit der Band Sturm arbeitet sie schon an neuen Songs, eventuell werden sie poppiger.

Jetzt aber sollten erst mal möglichst viele Menschen dieses großartige erste Album entdecken, das entgegen aller Wahrscheinlichkeit in einer kleinen Stadt in der Oberpfalz entstanden ist.

"Nur mich" von Sturm ist bei Enja erschienen

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