Als Tenor und Bariton in Mahlers "Lied von der Erde"
Von Sängern ist oft zu hören, dass sie alle Fächer und Stilepochen flexibel bedienen könnten. Auch Jonas Kaufmann wird nicht müde, dies zu betonen. Nicht selten liegen jedoch Vorstellung und Wirklichkeit weit auseinander. Das zeigt sich jetzt auch beim „Lied von der Erde“ von Gustav Mahler, das Kaufman mit den Wiener Philharmonikern unter Jonathan Nott eingespielt hat.
Der besondere Clou dieser Aufnahme: Kaufmann singt in der eingespielten Fassung mit Männerstimmen den Tenor und den Bariton. Dabei überzeugt der Münchner vor allem mit den Bariton-Partien, obwohl er seit einer technischen Umstellung als Tenor unterwegs ist. Sein baritonales, im samtenen Matt-Ton gehaltenes Timbre passt grundsätzlich sehr gut zur Jenseitigkeit und Weltentrücktheit im finalen „Abschied“.
Nicht alles klingt schön
In der tenoralen Höhe aber mangelt es unhörbar an Strahlkraft und Klarheit, mitunter brüchig sein Piano. Ein weites Atmen macht sich in seinem Piano rar, wohingegen die Kulmination im „Trinklied vom Jammer der Erde“ etwas gepresst wirkt. Ein Affe hockt hier im Mondschein auf den Gräbern, so der Text, und sein Heulen gellt in den „süßen Duft des Lebens“ hinaus. Über diese Worte stürzt das ganze Orchester katastrophisch in sich zusammen. Es ist Kaufmann anzuhören, wie er sich abmühen muss.
Obwohl die Wiener Philharmoniker sehr differenziert spielen, nie aufgedonnert, kann Kaufmann davon nur stellenweise profitieren. Zwar ist er bemüht, die Worte unsentimental und sonor zu gestalten, aber: Im „Abschied“ erreicht er nicht einmal im Ansatz dieselbe geistige, stilsichere Durchdringung und zugleich aufrichtige Dringlichkeit wie sein Kollege Christian Gerhaher. Das offenbart nicht zuletzt die wunderbare Aufnahme von Gerhaher mit dem Sinfonieorchester im kanadischen Montreal unter Kent Nagano, bei der Klaus Florian Vogt die Tenorpartie singt.
Auch die Konkurrenz schwächelt
Auch auf der zweiten neuen Einspielung von Mahlers „Lied von der Erde“, die Nott mit den Bamberger Symphonikern realisiert hat, schwächelt der Gesang. Hier fallen die Tenor-Partien weit hinter Kaufmanns Leistungen zurück, zumal sie Roberto Saccà ausgesprochen manieriert nimmt: mit reich verschnörkeltem Vibrato und einem Hang zur süßlichen Larmoyanz.
Darunter leidet schon das „Trinklied vom Jammer der Erde“, wohingegen Stephen Gadd mit seinem sonoren, warmen Bariton grundsätzlich für sich einzunehmen vermag. Ähnlich wie Kaufmann hat indessen auch Gadd ein Problem in der Höhe, nicht immer genau überdies die Intonation. Dies trübt leider das Ergebnis, auch wenn er die Worte im „Abschied“ ausgesprochen nobel und kultiviert interpretiert. Dafür aber glänzen auf dieser Aufnahme die Bamberger Symphoniker.
Bamberg gegen Wien
In seiner Zeit in Franken, zwischen den Jahren 2000 und 2016, hat Nott aus diesem Klangkörper ein Mahler-Orchester allererster Güte gemacht. Hinter den Wiener Philharmonikern brauchen sie sich keineswegs zu verstecken. Unter Nott sezieren und schärfen die Bamberger die Klangfarben, um packende dramatische Zuspitzungen zu erreichen. Andererseits haben Nott und die Bamberger keine Angst vor der Stille, was den „Abschied“ umso intensiver macht.
Obwohl Nott diesen Finalsatz mit den Bambergern insgesamt etwas schneller nimmt als mit den Wienern, gelingt eine geradezu atemberaubende Intensität. Dagegen sind die Wiener mehr um einen Ausgleich der Farben und der Dramaturgie bemüht, was den Klang faszinierend durchhörbar macht. Genau diese Unterschiede machen beide Aufnahmen gleichermaßen hörenswert, weil sie sich spannend ergänzen. Nott und die beiden Orchester sind die überragenden Sieger dieser neuen Einspielungen. Für die Bamberger und Nott ist die neue CD überdies der krönende Abschluss ihrer Gesamtaufnahme aller Symphonien von Gustav Mahler.
Gustav Mahlers Das „Lied von der Erde“ mit Kaufmann bei Sony Classical. Die andere Aufnahme unter Nott bei Tudor, die CD von Kent Nagano ebenfalls bei Sony