Alex Diehl ("Nur ein Lied"): Fährt er jetzt zum ESC?
München - Alex Diehl, Singer-/Songwriter aus Waging, hat wie viele andere das Länderspiel in Paris im Fernsehen verfolgt und anschließend die ganze Nacht hindurch die Meldungen in den Liveblogs von Nachrichtenportalen. Mit seiner Handykamera hat Diehl „Nur ein Lied“ dann aufgenommen und sofort aus einem emotionalen Impuls heraus auf Facebook hochgeladen. Keine 24 Stunden später hatte "Nur ein Lied" über eine Million Aufrufe, mittlerweile sind es 7 Millionen.
Universal Music Deutschland hat die Betreuung der Veröffentlichung übernommen. Die Erträge aus der Veröffentlichung kommen in voller Höhe der Hilfsorganisation "Save the Children" zu Gute.
AZ: Herr Diehl, da bekommt ein statisch aufgenommenes Handy-Musikvideo innerhalb kürzester Zeit 7 Millionen Klicks: Das ist doch surreal...
ALEX DIEHL: Ja, das empfinde ich auch immer noch so. Wenn ich bisher ein Video reingestellt habe, gab’s, wenn's gut lief, in 14 Tagen ein paar tausend. Und ich bin technisch nicht so bewandert, dass ich mir so einen viralen Hit erklären könnte. Das ist wie eine Exponenzial-Kurve. Ja, ich erinnere mich noch grob daran aus dem Mathe-Unterricht. Aber es ist Wahnsinn: Es ist ein in 15 Minuten entstandener Song, der mir lange durch den Kopf ging und sich dann – nach den Attentaten in Paris – plötzlich Bahn brach.
Er wird als Anti-Terror-Song gesehen.
Das ist falsch. Es war die Reaktion auf eine Partei, die bereits fünf Minuten nach den Anschlägen, diese nutzte, um Stimmung für sich zu machen. Da bekam ich „zuviel Angst, um weiter still zu sein.“ Nicht vor den Terroristen, sondern davor, dass die Stimmung kippt und sich Deutschland spaltet. Wer in die sozialen Netzwerken schaut, sieht wieviel Hysterie und Fehlinformationen kursieren. Da werden Bilder und Informationen aus dem Zusammenhang gerissen, weitergeschickt. Ich selbst debattiere wie ein Irrer mit allen darüber und ich bin ja auch Gitarrelehrer und Schüler erzählen mir auch, was zuhause so gesagt wird: Da bekommt man Angst! Und ich habe mir gesagt. Haben wir denn nichts gelernt? Und da kam mein emotionaler Schnellschuss: Aufnehmen, posten und dann bin ich ins Bett gegangen und es nahm seinen Lauf. Viele sagen jetzt zu mir: Toll, du lässt dich von deiner Angst nicht wütend machen, sondern gibst Hoffnung...
Ihr Song erinnert an die Situation 1982, in der hochgerüsteten Ost-West-Konfrontationszeit, als Nicole plötzlich mit „Ein bisschen Frieden“ die Sehnsucht in dieser Beklemmungszeit beschrieb. Es wurde ein blockübergreifender Ost-West-Friedens-Hit.
Ja, das ist mir seit gestern bewusst geworden, als mir Leute gesagt haben: Ein EU-Abgeordneter ist dafür, dass ich Deutschland im ESC vertrete und dass es dafür schon eine Petition an die ARD gibt, die schon ein paar tausend Leute unterschrieben haben. Das ist so plötzlich eine ganz komische Vorstellung für mich. Das überfordert mich alles.
Und würden Sie hinfahren?
Ich müsste lügen, wenn ich „Nein“ sage. Aber ich würde auch jeden anderen Künstler hinschicken, wie Peter Maffay. Nur eines finde ich wichtig: Keine Tänzerinnen und Feuerzauber, sondern man muss sich diesmal wieder hinstellen und die klare Botschaft sagen: Wir sind das Volk und nicht Pegida! Wir wollen keine Hassspirale und keinen Krieg! Wir Deutschen sind nicht naiv, aber wir wollen Frieden und helfen und werden das meistern.
Sie beschreiben im Song einen fatalen Dreierschritt: Aus Angst wird Hass, aus Hass wird Krieg. Vielleicht ist es ja genau das, was der IS und Al-Kaida wollen...
Vielleicht, aber jeder, der wenigstens noch halbwegs bei Verstand ist, kann Krieg nicht wollen. Das gilt selbst für die allermeisten Pegida-Demonstranten, auch wenn die an der Hass-Spirale mitwirken. Aber wenn man Zäune baut, Grenzen dicht macht, Flüchtlinge inhaftiert, kann das nicht gut ausgehen. Und man muss endlich aufhören zu sagen, dass ein Mensch weniger wert ist als ein anderer. Und der militärische Wahnsinn, tötest Du hundert von mir, bombardiere ich Tausende von dir, führt auch nicht weiter und stärkt die IS noch: Weil dann eine noch stärkere Kreuzzugs- und Märtyrer-Situation entsteht. „Das Problem an der Wurzel packen“, wie Frau von der Leyen es mit Bomben machen will, ist selbst morden und hat so das selbe Niveau wie der IS hat. Wenn wir es nicht auf die Reihe kriegen, dass man in ein Café geht, wo ein Inder, ein Araber, ein Franzose und ein Deutscher sitzen und man nicht einfach „Hallo“ sagen kann, dann ist das gefährlich und ein Armutszeugnis. Wenn ich 27 Jahre bin, studiert habe, mir in Pakistan die Kugeln um die Ohren fliegen und ich in einem Zeltlager lebe und meine Toilette ist ein Loch im Boden, dann gehe ich natürlich in eine Land, wo ich noch alle Chancen habe. Und dann wird hier gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ gehetzt, anstatt sich mal in diese Situation hineinzuversetzen.
Waging am See, wo Sie wohnen, ist da aber etwas abseits des Spannungsfeldes.
Es ist eine Idylle, wo man weltfremd sein könnte, aber wer dort lebt, ist nicht zwangsläufig weltfremd. Freilassing ist nur 10 Kilometer und ich bin dorthin, um mitzuhelfen und habe das alles gesehen. Nächste Woche gibt’s ein Benefizkonzert in Passau und Freilassing für die Helfer und ich bin stolz auf der Bühne dabei zu sein.
Ist Ihr Erfolg nicht eine Art Katastrophen-Gewinnlertum?
Nein, weil es ja nie als berechneter Erfolg gedacht war. Ich wollte meinen 500 Zuhörern, die ich so hatte, meine Meinung sagen. Aber nach dieser Dynamik bin ich sofort zu „Save the Children“ gegangenund habe gesagt: Alles, was da jetzt an Geld kommt, bekommt ihr. Es ist ein Privileg, weil ich immer gedacht habe: Was kann ich tun? Ich bin doch eh nur einer! Und jetzt gibt es plötzlich die Möglichkeit für mich als bayerischer Waginger zu helfen. Und wenn nur ein Kind dadurch nicht auf der Straße erfriert, wie es jetzt dauernd passiert, hat es doch schon einen Sinn gehabt. Und bin ich stolz darauf und kann das später vielleicht mal meinen Kindern erzählen. Und da denke ich mir: Ok, auch wenn das nicht meine Art ist, ich nutzte jetzt die Aufmerksamkeit, um was daraus zu machen: Hoffnung geben und Euro zusammenzukriegen, um zu helfen.