Abramovic inszeniert Debussy-Oper: Drei Köpfe, eine harmonische Idee

Claude Debussys Oper "Pelléas et Mélisande" in einer Inszenierung von Marina Abramovic aus der Oper Genf.
Michael Bastian Weiß |
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Debussys "Pelléas et Mélisande" in der Genfer Oper.
Debussys "Pelléas et Mélisande" in der Genfer Oper. © Magali Dougados

Alles ist so attraktiv. Die Bühne ist in ein ästhetisches Graublau getaucht, ihre Mitte umzirkelt ein großer Ring aus Licht, dahinter prangt ein ebenso kreisförmiger Sternenhimmel. Ein riesiges Auge erscheint dort, bedrohlich zunächst, doch dann stellt sich heraus, dass es aus Planeten gebildet ist und sich zum Weltraum weiten kann.

Die Videos von Marco Brambilla sind nicht nur selten organisch in den Hintergrund eingepasst, sie lassen sich sogar ohne Flimmern abfilmen - ein Vorteil, denn diese Aufführung von Claude Debussys symbolistischer Oper "Pelléas et Mélisande" wird live aus dem Grand Théatre in Genf ins Netz übertragen.

Figuren fast durchgängig von Tänzern umgeben

Der Einklang von bebildertem Raum, Handlung und Musik - hier wird er zum Ereignis. Gleich drei Personen zeichnen für diese Produktion verantwortlich, die ihre Premiere 2018, also zwei Jahre quasi "ante pandemiam", hatte: Damien Jalet und Sidi Larbi Cherkaoui für Inszenierung und Choreographie, für Szenographie und Gesamtkonzept keine Geringere als die Künstlerin Marina Abramovic. Drei Köpfe, eine Idee: Das Ergebnis wirkt erstaunlich harmonisch.

Fast ständig sind die Figuren von Tänzern umgeben, die sie mit expressiven Gesten begleiten, als ob es deren Gedanken und Gefühle wären. Diese halbnackten jungen Männer treiben im Dunklen ihr Schattenspiel, blühen in wunderschönen Konstellationen auf wie Blumen im Zeitraffer oder stricken die Handelnden mit kunstvoll ineinander gespannten Fäden ein.

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Wenn die Liebenden dann im vierten Akt endlich allein sind, empfindet man diesen Moment geradezu als Befreiung. Alles ist bedeutsam, alles wird zum Symbol. Wie muss es sein, diese geballte Sinnlichkeit im Theater zu erleben! Aber auch in der Übertragung bleibt noch genug zu sehen übrig.

Mari Eriksmoen singt die Mélisande überraschend energisch

Und zu hören. Mit hingebungsvollen Bewegungen leitet Jonathan Nott das Orchestre de la Suisse Romande, das unter den Händen seines Chefdirigenten nur in den Zwischenspielen mächtig auffährt und ansonsten den Sängern in flüssiger instrumentaler Prosa folgt. In den weichzeichnenden Kostümen von Iris van Herpen mutet Mari Eriksmoen zwar an wie eine geträumte Hollywood-Schauspielerin, die Norwegerin singt die Mélisande aber weniger ätherisch als überraschend energisch, mit intensiv strahlendem Sopran von elfenbeinerner Festigkeit.

Einen gravitätischen Arkel mit würdevollem Vibrato gibt Nicolas Testé, imposant auch als Persönlichkeit. Die Rolle des Pelléas ist hier mit einem Bariton besetzt, Jacques Imbrailo, der sich aus einer stabilen Tiefe bruchlos in die Höhe aufschwingt, während Leigh Melrose als Golaud mit seinem heldischen Bariton mehr gepresst, latent aggressiv in die Tiefe gräbt: Der eine Bruder ist das Spiegelbild des anderen.

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Bis hinein in die stimmliche Disposition der Sänger also ergibt diese optisch rauschhafte und musikalisch feinsinnige Produktion Sinn. Wenn Corona vorbei ist und die Genfer Oper diese Inszenierung wieder auf den Spielplan setzt, wäre das glatt eine Reise wert.


Das Video ist einen Monat lang auf www.gtg.ch zu sehen.

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