100 Jahre widerständiges Bayern

Hans Well über Kurt Eisner, die CSU, Wackersdorf und die neue bayerische Lust auf Großdemonstrationen
Volker Isfort |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Martin Bolle

Vor einhundert Jahren beendete der Sozialist Kurt Eisner die Monarchie in Bayern. Die dramatischen Ereignisse rund um die unblutige Revolution und Gründung des modernen Freistaats hat Hans Well zusammen mit Künstlern wie Johanna Bittenbinder, Gisela Schneeberger, Heinz-Josef Braun, Bernhard Butz, Gert Heidenreich und den Wellbappn zu einem höchst informativen und unterhaltsamen musikalisch untermalten Hörspiel bearbeitet („Rotes Bayern“ – erschienen im Hörverlag). Doch Politik ist für Well keine Geschichtsstunde, sondern sein Lebenselixier. Und deswegen ist er in der nächsten Zeit auf vielen Bühnen zu sehen – auch bei zwei Großdemonstrationen.

AZ: Herr Well, was hat Sie dazu bewogen, mit anderen Künstler ein Hörspiel über die bayerische Revolution von 1918 zu machen?
HANS WELL: Zunächst einmal die Tatsache, dass ich in meiner Schulzeit nie etwas davon gehört hatte. So wie ich waren und sind vermutlich noch immer viele Menschen der Meinung, dass der Freistaat vom Ochsensepp, dem Gründer der CSU ausgerufen worden ist und nicht von Kurt Eisner, einem linken Berliner USPDler, der keinesfalls aus dem katholischen Bayern kam. Die CSU trägt diesen Freistaat immer so stolz vor sich her, will aber überhaupt nichts von seiner Entstehung wissen.

Gehört bayerische Geschichte für die CSU nicht zum Heimat- und Traditionsbewusstsein dazu?
Die Monarchie und CSU-Herrschaft schon, der demokratische Gründungsteil offenkundig nicht. Dabei könnte auch die CSU stolz sein auf diese Revolution, weil sie völlig unblutig verlaufen ist und große Errungenschaften hervorgebracht hat wie den Acht-Stunden-Tag, das Frauenwahlrecht und die Republik Bayern.

Wir reden ja nur von einer sehr kurzen Zeit, bis die Revolution blutig niedergeschlagen wurde.
Heinrich Mann hat in seiner Trauerrede bei der Beerdigung Eisners gesagt, dass in den vier Monaten seiner Regierung mehr erreicht wurde als in den 50 Jahren davor. Eisner schaffte es, unterschiedliche soziale Gruppen miteinander zu verbinden, sogar ein Teil des Bürgertums stand anfangs hinter ihm. Was man auch bedenken muss: die Demokratie war Neuland für Bayern, so etwas hatte es ja hier zuvor noch nicht gegeben. Eisner hat versucht, ein Miteinander von Räten und dem Landtag voranzubringen, das war sicherlich klüger als der Konfrontationskurs, den es dann nach seiner Ermordung gegeben hat.

Er hat mit seiner USPD bei den ersten Wahlen nach der Revolution dennoch nur knapp drei Prozent der Stimmen erhalten.
Viele Leute dachten halt, mit der Revolution brechen nach vier Jahren Krieg, Mangel und Not mit der Herrschaft des Volkes sofort bessere Zeiten an. Aber die Versorgungslage in den Städten und auf dem Land war katastrophal. Eisner hatte überhaupt keine Chance, das schnell zu ändern. Im sogenannten Dotschenwinter 1917 waren zehntausende in Bayern verhungert. Aus fast jeder Familie, auch den Bauernhöfen, waren junge Männer an der Front gefallen. Dabei hatte die bayerische Monarchie bei Kriegsausbruch versprochen, dass Elsass-Lothringen ein Teil Bayerns wird und Antwerpen ein bayerischer Hafen.

Die Bayern haben damals eine Revolution gemacht. Aber seit 50 Jahren wählen sie unverändert CSU – trotz Ihrer jahrzehntelangen Arbeit mit Polt, der Biermösl Blosn und jetzt ihren Kindern, den Wellbappn.
Ich versteh’s ja auch nicht! Nein, es wäre verwegen, wenn wir uns anmaßen, dass wir an den Verhältnissen was ändern können. Unsere Chance als Künstler besteht doch vor allem darin, die Leute gut zu unterhalten, auch mit gesellschaftlichen und politischen Themen. Aber Autoritäten zu verspotten macht uns Spaß und bewirkt ja vielleicht ein bisschen was. Momentan tut sich ja viel Positives und damit mein ich nicht die AfD. Super, dass viele Menschen auf die Straße gehen, um gegen die katastrophale Mietsituation zu protestieren, gegen das neue Polizeiaufgabengesetz und die verrohte Sprache der Politik bezüglich der Flüchtlinge. Oder am 6. Oktober gegen Flächenfraß und für eine nachhaltige Landwirtschaft. Die WAA ist nach den Bürgerprotesten schließlich auch nicht gebaut worden.

Im Kino läuft zurzeit der „Wackersdorf“-Film, eine prägende Zeit für den bayerischen Bürgerprotest und auch für Sie?
Wir Biermösln haben damals sehr oft in der Oberpfalz gespielt und dadurch viele Lieder zum Thema WAA im Programm gehabt. Wir kannten den Strahlenexperten Edmund Lengfelder und waren durch ihn ganz gut über die Risiken der Atomkraft informiert. Der Widerstand gegen die Wiederaufbereitungsanlage kam ja auch nicht, wie von der Staatsregierung kolportiert, von linken Chaoten, sondern aus der Mitte der Bevölkerung und wurde immer größer. Die Oberpfälzer hatten Angst um ihre Heimat und vor den Strahlenrisiken, die bis zur Unbewohnbarkeit führen konnten. Meine Brüder und ich konnten das gut nachvollziehen.

Der Protest gipfelte dann im „Deutschen Woodstock“, dem legendären Konzert am 26. und 27 Juli 1986 in Burglengenfeld – mit Ihnen auf der Bühne.
Wir waren eine Volksmusik- Kabarettgruppe unter lauter Rock- und Punkbands. Vor uns haben die Toten Hosen gelärmt, dann waren wir dran. Die Hosen haben bei unserem Auftritt zugehört und uns danach gefragt, ob wir mit Ihnen Fußballspielen wollten. So wurden wir Freunde. Stars wie Grönemeyer haben uns ja nicht mitspielen lassen. Die meisten der über 100 000 Zuschauer kannten uns natürlich nicht. Bayerische Volksmusik war für die eine Begegnung der Dritten Art – CSU-Musik halt. Wie die aber realisiert haben, dass wir ganz andere Inhalte singen, sind die alle aufgestanden und haben fassungslos zugehört. Dieser unglaubliche Jubel nach jedem Lied – mir stellt es heute noch die Haare auf, wenn ich daran denke.

Was kann man mit einer Demonstration wie „Mia hams’s satt!“ am 6. Oktober auf dem Königsplatz eigentlich bewirken?
Ich glaub schon, dass so eine Veranstaltung ein starkes Zeichen sein kann gegen die Industrialisierung der Landwirtschaft. Tatsache ist, dass die Böden durch Monokulturen wie Vermaisung immer mehr ausgelaugt werden. Immer mehr Bauern geben auf, weil es immer noch heißt „wachsen oder weichen?“ Seit 50 Jahren propagiert die CSU eine bäuerliche Landwirtschaft – in Wahlreden. Realität ist aber, dass immer weniger Bauern immer größere Flächen bewirtschaften. Das hat katastrophale Auswirkungen beispielsweise für unser Trinkwasser – jeder zweite Brunnen hat laut EU zu hohe Nitratwerte. Und auch das Insektensterben ist Folge einer Landwirtschaft, die immer mehr Agrarchemie einsetzt.

Wie könnte man dem entgegensteuern?
Zum Beispiel mit einer anderen Subventionspolitik, die nicht aus der Gießkanne kommt und damit Großflächen-Besitzer wie EON, Lufthansa usw. begünstigt. Bayern hat lange die Landwirtschaftsminister der Bundesrepublik gestellt. Christian Schmidt stimmte noch vor neun Monaten in einem Soloamoklauf der Verlängerung für Glyphosat zu. Jetzt hockt er im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn. Dazu kommt ein immenser Flächenverbrauch, immer mehr Gewerbegebiete metastasieren in die Landschaft hinaus – auch da ist Bayern führend. Jedes Jahr wird bei uns die Fläche vom Ammersee versiegelt. Im Jahr 2268 wird es dann heißen: „I bin da Sepp, und unter dene Gewerbehallen, do bin i dahoam“! Ich vermute, dass die Urlauber nicht wegen der Gewerbegebiete nach Bayern fahren, sondern wegen der schönen Landschaft.

Umfragen zufolge stehen wir ja kurz vor einer neuen „Revolution“: die CSU unter 40 Prozent!
Ich möchte da gar keine Prognose abgeben. Aber Macht braucht Kontrolle – und Demokratie den Wechsel, das würde dem Land Bayern gut tun. Gerade wenn man bewahren möchte, was das Gesicht von Bayern eigentlich ausmacht, nämlich seine kleinteilige bayerische Kulturlandschaft. Dazu Städte mit Geschäften, die drinnen sind und nicht als Einkaufscenter auf der grünen Wiese.

Sie lesen jetzt zusammen mit Gisela Schneeberger, Bernhard Butz und Gert Heidenreich Texte aus „Rotes Bayern“ im Landtag – auf Einladung der SPD.
So kommt der Eisner doch noch in den Landtag. Es ist doch eine Schande, dass der Gründer und erste Ministerpräsident von Bayern im Landtag nicht gewürdigt wird. Da gehört doch eigentlich ein Denkmal hin! Eisner war immer ein überzeugter Föderalist, er wollte eine starke Eigenständigkeit Bayerns gerade nach der Katastrophe durch das zentralistisch gesteuerte Kaiserreich. Eisner hat einmal gesagt, er würde mit weißblauen Fahnen gegen Berlin ziehen, um das liberale Bayern gegen das preußische militärische Junkertum zu verteidigen – das könnte doch sogar der CSU gefallen.

Hans Well und die Wellbappn spielen bei der „Jetzt gilt’s“ Kundgebung am 3. Oktober auf dem Odeonsplatz und am 6. Oktober bei „Mir ham’s satt“ auf dem Königsplatz. Das Hörspiel „Rotes Bayern“ stellen Hans Well und Gäste am 21. Oktober um 19 Uhr im Literaturhaus vor

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.