Münchner Eisbrecher
Tilman Spengler erhält am Montag den mit 10000 Euro dotierten Literaturpreis der Stadt München.
Als einen der welt- und wortgewandtesten der hiesigen Schriftsteller würdigte die Jury den Münchner Tilman Spengler („Lenins Hirn“) und sprach ihm heuer den nur alle drei Jahre vergebenen Literaturpreis der Stadt zu. Wie richtig sie damit liegt, zeigen die heutige Verleihung im Literaturhaus – und die Tage zuvor.
Denn Spengler, Sinologe und Redenschreiber für Frank-Walter Steinmeier, war die letzten 72 Stunden im Tross des Außenministers in China, um das diplomatische Eis zwischen Peking und Berlin aufzutauen. Mit dabei, Spenglers Literaturpreis-Vorgänger Herbert Rosendorfer: „In der Tat war es eine hundertprozentige Besetzung der deutschen Kulturdelegation durch Münchner Literaturpreisträger, da hatte das Eis keine Chance“, meldete Spengler per e-mail aus Peking. „Aber ein wenig ernsthafter gesprochen: Selten haben sich chinesische und deutsche Intellektuelle deutlicher die Meinung gesagt.“
Einer anderen Eiszeit vorbeugend, hat sich Spengler vor Monaten die österreichische Autorin Eva Menasse („Vienna“) als Laudatorin erbeten, die mit ihm und Günter Grass das Bedürfnis nach politischer Einmischung in der jüngeren Autoren-Generation wachzuhalten versucht.
Damals konnte der Autor nicht ahnen, in welchen Konflikt er die fußballbegeisterten Literaturfreunde nun stürzt. „Frau Menasse verkörpert das verstehende Österreich. Das brauchen wir heute Abend unbedingt“, urteilt der Geehrte süffisant. Immerhin macht auch die Kultur eine Verbeugung vor dem Fußball. Die Preisverleihung soll quasi in die zweite Halbzeit des Schicksalsspiels münden.
Tilman Spengler, einer der emsigsten Vermittler und Netzwerker im deutschen Literaturbetrieb, musste erst letzte Woche das Ende des von ihm herausgegebenen „Kursbuchs“ verkünden – nachdem der Holtzbrinck-Konzern eine Weiterführung abgelehnt hatte. Der mit der Schauspielerin Daphne Wagner verheiratete Autor lebt in München und am Starnberger See. Ihm gelang mit „Lenins Hirn“ über den Berliner Nervenarzt Oskar Vogt ein internationaler Erfolg.
Er schrieb Romane mit Beobachtungen aus China wie „Der Maler von Peking“, verfasste Reden für den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Dass Humor eine schmerzlindernde Waffe sein kann, stellte er in „Wenn Männer sich verheben" unter Beweis, einem kunstvollen Plädoyer für den aufrechten Gang. Der Band „Meine Gesellschaft" (2001) ist ein Kaleidoskop von ironischen Geschichten aus dem wahren Leben der Republik.
vi