München braucht keine Aufreger
AZ: Herr Hild, wenn man bei Ihnen auf der Homepage den Wohnungsbau anklickt, erscheint neben den Projekten eine Büchse Ölsardinen. Das sagt doch schon alles.
ANDREAS HILD: Das ist eher ein ironischer Kommentar. aber die Aussage, dass höhere Dichte notwendig sein wird, ist auch richtig.
Wir müssen künftig also enger zusammenrücken?
Gerade in einer Stadt wie München werden die freien Flächen weniger, also wird dichter gebaut. Und mit den schwindenden Bevölkerungszahlen wird die Bedeutung der Stadt ganz sicher steigen. Dort, wo nur wenige Menschen leben, lässt sich die Infrastruktur – Krankenhäuser, Schulen etc. – nicht mehr im notwendigen Maße aufrecht erhalten. Das merkt man in München und im Umland wahrscheinlich noch lange nicht. Aber im Norden zeigt sich das schon.
Man muss gar nicht so weit von München weg. Auf dem Land wird längst über Schließungen oder das Zusammenlegen von Krankenhäusern debattiert.
Oder es gibt im Ort keinen Hausarzt mehr. An dieser Stelle beginnt man doch zu überlegen, ob man dort alt werden möchte. Die Stadt ist also kein Auslaufmodell, sondern sie wird – wenn der Trend der Bevölkerungsabnahme anhält – immer wichtiger. Hat eine Stadt dann noch eine so extreme Attraktivität wie München, muss man sich überlegen, wie man den entsprechenden Wohnraum schaffen kann.
Es dürfte doch die Herausforderung schlechthin sein, gute Architektur mit hoher Lebensqualität für Durchschnittsverdiener erschwinglich zu machen. Da überzeugen weder Riem noch der Arnulfpark.
Ich glaube, diese Neubaugebiete sind wesentlich besser als ihr Ruf. Wenn ich in andere Städte schaue, wo man sich an ähnlich großen Gebieten versucht hat, kommt Riem gar nicht schlecht weg. Die Lage an einem der größten Landschaftsparks, die je neu gebaut wurden, und die relative Nähe zur Innenstadt ermöglichen ein Wohnen, das sich zwar noch zwanzig Jahre „einwachsen” muss, aber ich prophezeie Ihnen, dass Riem zu einer ganz gesuchten Lage wird. Ich wäre vorsichtig, Anforderungen an die Architektur zu stellen, die vielleicht aufgrund der Entstehungsgeschichte gar nicht einlösbar waren.
Sie spielen jetzt darauf an, dass die Wohnungsbaugesellschaften den Architekten im Grunde keinen Spielraum mehr lassen?
Auch Wohnungsbaugesellschaften haben Gegebenheiten, in diesem Prozess gibt es weder Gut noch Böse. Wenn Sie heute als Unternehmer in der Stadt ein Grundstück kaufen, sind Sie bereits durch einen Bieterwettbewerb gegangen, der so ruinös war, dass Ihnen schon bei Baubeginn das Wasser bis zum Hals steht. Da ist für Experimente nicht mehr viel Raum.
Was muss passieren?
Städtische Grundstücke müssen diesem Markt entnommen werden. Das ist leicht gesagt, der Stadtrat ist ja auch verpflichtet, mit unserem Eigentum entsprechend umzugehen. Er kann Grundstücke nicht einfach unter Preis verkaufen. Aber man müsste Modelle finden, die die Vergaben an Baugruppen, Genossenschaften etc. so regeln, dass in der Stadt weiterhin sinnvoller Wohnraum entstehen kann. Und wie gesagt, in bestimmten Gebieten müssen wir auch über höhere Dichten nachdenken.
Wie kann das funktionieren, ohne dass die Lebensqualität darunter leidet? Das Einfachste ist ja immer, in die Höhe zu gehen.
Die Höhe als solche ist nicht allein selig machend. Es gibt eine Begrenzung: Ab etwa sieben Stockwerken greift die Hochhausrichtlinie. Es ist dann sehr unwirtschaftlich, acht oder neun Stockwerke zu bauen, denn dann muss man alles haben, was zu einem Hochhaus gehört, also Fluchtwege und so fort. Rentabel wird es erst wieder nach 30 oder 40 Metern. Wenn wir also die Bauordnung auszunutzen und wesentlich höher und damit auch dichter bauen würden, wäre einiges an Wohnraum herstellbar. Von den Bürgern wird das momentan aber nicht gewünscht – das muss man ernst nehmen.
Verdichtung gilt ja generell als negativ, man ertappt sich doch selbst bei dem Gedanken „jetzt wird das auch noch zugebaut”.
Klar, Architektur vernichtet erst mal einen freien Platz. Grundsätzlich muss man aber auch sehen, dass die Menschen von jeher ihre meisten Ressourcen, ihr Geld, ihre Zeit in Wohnraum investiert haben. Der entscheidende Punkt ist tatsächlich: Wir müssen künftig eine höhere Dichte haben, um München attraktiv zu halten. In der Bevölkerung gibt es dafür keine oder nur eine geringe Akzeptanz, das wird man in der Stadtgesellschaft diskutieren müssen.
München wird gerne der Vorwurf gemacht, zu wenig glamourös und dafür ein bisschen bieder zu sein.
München war schon immer eine gemäßigte Stadt, auch im Sinne der liberalitas bavariae. Gerade beim Wiederaufbau nach dem Krieg wurde immer versucht, die Vermittlung zwischen den Zeitschichten und Interessen zu suchen. Dass München eine Tradition hat, sich gelassen gibt gegenüber Neuerungen und vor allem das annimmt, was in die Systematik passt, ist der Stadt doch gut bekommen.
Dann braucht’s die spektakulären Projekte gar nicht?
Ich glaube, München tut gut daran, nicht nach Aufregern zu suchen. Es geht hier nicht darum, den Bilbao-Effekt zu erzeugen. München in seiner Gesamtheit wirkt wie ein Orchester, in dem einzelne Stimmen durchaus ihr Solo spielen können, aber es braucht hier keine Solisten, die großartig herausstechen.
Also auch keine BMW Welt?
Ich würde die BMW Welt immer als Teil eines Ensembles sehen. Dazu gehören das Olympiastadion, der BMW Turm... Das ist fast ein Park von Einzelobjekten, der noch gut zwei, drei weitere vertragen kann. Es geht doch eher um die Frage, müssen wir jetzt einen großen Knall am Marienplatz haben? Alles in allem ist hier in den vergangenen 50 Jahren sehr viel richtig gemacht worden. Und man sollte das nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Trotzdem kritisieren viele, dass sich nach 1972 nicht mehr viel getan hat.
Ich glaube nicht, dass uns der reflexhafte Verweis auf das Olympiagelände weiterhilft. Selbstverständlich ist das ein herausragendes Bauwerk, der Freiraum ist dabei vielleicht sogar noch wichtiger als die Architektur, darüber braucht man nicht zu diskutieren. Die Olympischen Spiele sind aber auch ein herausragendes Ereignis. Und da wäre ich jetzt vorsichtig, jeden Montag ein solches Bauwerk zu fordern, wenn ich möglicherweise das Ereignis dazu nicht habe. Der Versuch, dauernd neue "Olympiagelände" zu bauen, würde scheitern.