Morden im Norden
Der skandinavische Krimi hat einen neuen Bestseller-Autor: Jussi Adler-Olsen lässt in „Schändung“ Kommissar Carl Mørck in einemlange zurückliegenden Doppelmord ermitteln
Kauzig, leicht schwermütig und persönlich frustriert, getrieben jedoch von Ermittlungseifer und dem Wunsch nach Gerechtigkeit – das sind die Protagonisten des zeitgenössischen skandinavischen Kriminalromans. Nach Henning Mankells Kommissar Wallander und Stieg Larssons Hackerin Lisbeth Salander leuchtet nun ein neuer nordischer Star an der Spitze der deutschen Bestsellerlisten.
In seinem Roman „Schändung“, den er heute beim Literaturfest präsentiert, lässt der dänische Autor Jussi Adler-Olsen den Kopenhagener Vizekriminalkommissar Carl Mørck zum zweiten Mal in einem bereits Jahre zurückliegenden Fall ermitteln. Mørck ist ein Mann um die fünfzig, von seiner Frau verlassen, ein etwas schwieriger Zeitgenosse. Im Vorgängerroman „Erbarmen“ endet eine Tatortbegehung mit dem Tod eines seiner Kollegen, ein anderer liegt querschnittsgelähmt im Krankenhaus. Der traumatisierte Mørck wird vom Morddezernat in das neu gegründete Sonderdezernat Q versetzt. Als dessen Leiter ist er fortan für die Aufklärung von Kriminalfällen zuständig, die in der Vergangenheit nicht gelöst werden konnten.
Brillant konzipierten Chronologie des Grauens
Die Akte, die in „Schändung“ auf Mørcks Schreibtisch landet, ist die eines Überfalls auf ein Ferienhaus im Kopenhagener Umland. Dabei sind 20 Jahre zuvor zwei Geschwister im Teenager-Alter auf brutalste Art und Weise ermordet worden. Ungeklärt ist von Anfang an die Frage, wer die Unterlagen in Mørcks Büro platziert hat. Der Fall wurde mit einer Verurteilung abgeschlossen und fällt offiziell nicht in Mørcks Aufgabenbereich. Jemand scheint aber Interesse an neuen Ermittlungen zu haben.
Des Mordes verdächtigt wurde damals eine Clique von Schülern eines angesehenen Internats, die mittlerweile größtenteils zur wirtschaftlichen Elite des Landes gehören. Umso schwieriger gestalten sich Mørcks Ermittlungen.
Das Universum der in die Geschichte verstrickten Charaktere ist von geradezu barockem Ausmaß. Von der Junkie-Frau über den schmierigen Privatdetektiv und die leidende demente Mutter bis hin zum sadistisch veranlagten und emotional abgestumpften dänischen Jetset – sie alle sind unabdingbarer Teil dieser dramaturgisch brillant konzipierten Chronologie des Grauens.
Im Zuge von Mørcks Ermittlungen wird immer deutlicher, dass es um wesentlich mehr geht als den offiziell bereits aufgeklärten Doppelmord. Geschickt wechselt Adler-Olsen zwischen den Perspektiven von Jägern und Gejagten, verschafft dem Leser immer wieder einen Wissensvorsprung, der die treibend-fiebrige Spannung der Erzählung noch erhöht. Ein faszinierend aufwühlendes Lesevergnügen.
Katrin Kaiser
dtv, 460 Seiten, 14,90 Euro.
Die heutige Lesung in der Black Box im Gasteig ist ausverkauft
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