Mord als kunstvolle Kunstlosigkeit
Die Novelle um einen Berliner Pflichtverteidiger wird dem Großformat des Romans nur schwer gerecht. Dennoch gelingt Ferdinand von Schirach mit "Der Fall Collini" ein weiterer fesselder Krimi, der den Leser in die Abgründe der deutschen Justiz entführt. Eine Rezension.
Seine Schriftsatz-Prosa ist sachlich und kühl. Sie schneidet wie ein Seziermesser aus Edelstahl: „Vier Projektile waren in seinen Hinterkopf eingedrungen, eines hatte sich im Gehirn gedreht, war wieder ausgetreten und hatte das halbe Gesicht weggerissen.“ So könnte das auch im Obduktionsbericht stehen.
Diesen taffen, lakonischen und präzisen Krimi-Existenzialismus kennt man von klassischen Amerikanern wie Dashiell Hammett. Ferdinand von Schirach hat ihn, ohne als billiger Nachahmer zu wirken, in seinen zwei Bänden mit Kurzgeschichten kultiviert. Ihre kunstvolle Kunstlosigkeit war eine kalte Dusche, die nach allzuviel Liteaturgetue reinigend erfrischte. Das dritte Buch des in München geborenen Wahl-Berliners und Strafverteidigers nennt sich „Roman“. Das ist ein großes Wort für eine Novelle, die den rätselhaften „Fall Collini" ohne Abschweifungen und Schnörkel auf 200 großzügig gesetzten Seiten referiert.
Auch Nebenfiguren werden meisterhaft zum Leben erweckt
Der erste Fall eines jungen Anwalts wird mit dessen Leben verschränkt: Als Pflichtverteidiger vertritt er einen italienischen Gastarbeiter, der den Großvater seines besten Freundes im Luxushotel hingeschlachtet hat. Die spannende Geschichte nimmt eine überraschend zwingende Wendung und endet in den Abgründen der deutschen Rechtsgeschichte. Schirach versteht es wieder meisterhaft, mit ein paar Worten und guten Beobachtungen auch Nebenfiguren wie den Bäcker von nebenan oder einen Wachtmeister in der Berliner Untersuchungshaftanstalt Moabit zum Leben zu erwecken, scheitert aber letztlich doch am Großformat Roman.
Um ihm zu genügen, hat er die Geschichte mit allerlei verschlissenen Versatzstücken möbliert. Natürlich entscheidet der Held im Widerstreit zwischen Liebe und Neigung sich heroisch für die Anwaltspflicht. Seinen recht kurzen Lebensweg pflastern tote Menschen, Hunde und Pferde. Das frühe Bad im Waffenöl Balistol stählte ihn zum illusionslosen Durchblicker mit tragischem Lebensgefühl. Das riecht nach Männerschweiß, Sam Spade, aber auch ein bisschen streng nach Ernst Jünger. Der juristische Papierkrieg donnert wie ein Stahlgewitter, Lebende sind im „Fall Collini“ immer nur Überlebende, wie der Leser nach einem detailreichen Obduktions-Kapitel und der Anwalt der Gegenseite, der von einer Handgranate des Zweiten Weltkriegs verstümmelt wurde und sich nach dem Krebstod seiner Frau von einer Ukrainerin befriedigen lässt. Schirachs Frauen und Bettszenen beschweigen wir lieber.
Der Ehrenkodex eines ritterlichen Fight
Die Strafprozessordung wird zum Ehrenkodex eines ritterlichen Fight unter Männerfreunden stilisiert. Juristen jenseits des Anwaltszimmers im Strafgericht Moabit trifft allerdings die tiefe Verachtung des Helden und wohl auch des Autors: Sie tragen als Lakaien des Kapitals Frackhemden mit Stehkragen und sind auch sonst korrupt.
Nach der finalen Enthüllung der Wahrheit besichtigt der einsame Wolf einen Trödelmarkt: „Hier sammelte sich, was übrig blieb, wenn die Wohnung eines Toten aufgelöst wurde: Besteck, Leuchter, Kunstdrucke, Kämme, Gläser, Möbel." Diese Coolness angesichts der Vergänglichkeit alles Irdischen kann man je nach Tagesform bewundern oder als Angeber-Pose für eitel halten.
Sei's drum: Wer Schirachs „Verbrechen“ und „Schuld“ verschlungen hat, wird sich trotz des bisweilen schalen Nachgeschmacks auch an diesem Band gierig laben.
Ferdinand von Schirach, „Der Fall Collini“ (Piper, 195 S., 16,99 Euro), Hörbuch, gelesen von Burghard Klaußner, 3 CDs, 19,99 Euro
- Themen: