Mit wem schläft Lagerfeld, Herr Sahner?

Der Bunte-Beichtvater liest in der Münchner Buchhandlung Hugendubel aus seiner neuen Lagerfeld-Biografie, gewährt tiefe Einblicke (auch bei sich selbst) und muss sich freche Fragen gefallen lassen
von  Abendzeitung

Der Bunte-Beichtvater liest in der Münchner Buchhandlung Hugendubel aus seiner neuen Lagerfeld-Biografie, gewährt tiefe Einblicke (auch bei sich selbst) und muss sich freche Fragen gefallen lassen

Paul! Stephan! Wer erwartet hatte, dass Duz-Freund Stephan Paetow, stellvertretender Focus-Chef, brav zum Stichwortgeber von Bunte-Beichtvater Paul Sahner avanciert, lag ziemlich daneben. Der Journalist ließ sich offenbar von Sahners indiskret-investigativen Fragetechniken inspirieren und ihn halbironisch stoßseufzen: "Hätte ich bloß jemanden von Bunte genommen..."

Anlass des Zusammentreffens ist "die heißeste Lesung des Jahres", wie Hugendubel-Filialleiterin Margit Immel den gestrigen Abend einläutet. Trotz 34 Grad sind rund 100 Lagerfeld- und/oder Sahner-Fans gekommen, um zu hören, wie der Biograf aus dem Nähkästchen des Modezaren plaudert. Apropos Nadel-Faden-Problematik: Als der unterste Hemdknopf Sahners, der den Stoff lässig nicht in die Hose gesteckt hat, irgendwie abhanden kommt, schreitet Co-Autor und Gentleman Thomas Veszelits vor versammelter Mannschaft ein und weist so diskret wie möglich auf die unfreiwillige Strip-Einlage des Protagonisten hin.

Aus dem Nähkästchen eines Modezaren

Der gewährt dafür Einblicke in Lagerfelds Leben, zum Beispiel sein wahres Alter und nicht-vorhandene Schönheitsoperationsnarben. Für Paetow jedoch nicht immer detailliert genug. Warum Sahner nicht mehr aus dem Sexleben Lagerfelds herausgepresst habe, will er wissen, und ob der sonst so neugierige Gürtellinien-Unterschreiter sich ausnahmsweise geniert habe, zu fragen, mit wem der Designer beischlafähnliche Handlungen vollziehe. Da verschlägt es selbst Sahner für einen Moment die Sprache.

Auch an der folgenden Lesung hat Paetow etwas auszusetzen, unterbricht den 65-Jährigen bald und informiert das schwitzende Publikum frech darüber, dass das Buch eigentlich spannender sei als es jetzt klinge. In der Tat gehört das Vorlesen anscheinend nicht zu Sahners größten Stärken, so dass bei der Schilderung eines Treffens mit Lagerfeld im französischen Biarriz erste Gäste schon auf die Fett-Weg-Ratgeber und Lyrikbände in der hübschen Filiale in den Fünf Höfen schielen.

Schlagfertiger als das tapfere Schneiderlein

Doch das ändert sich schlagartig, als Sahner zu jenen Passagen kommt, die das Buch ausmachen: die Gespräche zwischen Lagerfeld und ihm. Diese Interviews fesseln von Seite 1 bis 443. Wenn Sahner, der unverschämte, manchmal schamlose Zungenlöser aus Westfalen, auf Lagerfeld trifft, den König der Aphorismen, schlagfertiger als das tapfere Schneiderlein, entstehen wirklich Situationen, die fast Funken schlagen vor Esprit und Energie. Ein Genuss. Und schon alleine deswegen lohnt sich der Kauf der im Münchner mvg-Verlag erschienenen Biografie.

Am Schluss, nach einer guten Schau aller Beteiligten, gibt's viel Applaus. Von reifen Starnberger Ladies, bei denen nur die Fächer Falten werfen, von jungen Frauen in Jeans oder Chanel-Kostümen, Männern in weißen Anzügen oder kurzen Hosen, von Laptopbesitzern und Lederhosenträgern. Es ist wahr: Kaiser Karl hat offenbar eine breitere Herrschaftsbasis als jeder Herrscher der Welt.

Timo Lokoschat

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