Mit voller Kraft in die hymnische Ekstase

Pierre-Laurent Aimard wuchtete Olivier Messiaens Jesuskind-Zyklus in den Herkulessaal
von  Abendzeitung

Pierre-Laurent Aimard wuchtete Olivier Messiaens Jesuskind-Zyklus in den Herkulessaal

Alle seine zyklischen Werke folgen dem gleichen Schema. In den ersten Stücken werden Choräle, Vogelstimmen und orientalisierende Klänge ausgebreitet. In der Mitte steht eine erste Synthese. Auf einige Abschweifungen folgt ein kaum mehr steigerungsfähiger Höhepunkt, der nach einem Moment der Ruhe in hymnischer Ekstase so bombastisch überboten wird, wie es im 20. Jahrhundert niemand wagte.

Wie Olivier Messiaens „Turangalîla“-Symphonie und die Franziskus-Oper folgen auch seine zwanzig Betrachtungen über das Jesuskind für Klavier diesem Schema eines virtuosen Orgelkonzerts alter Schule. Vor dem Staunen über das Können und die Kraft des Pianisten Pierre-Laurent Aimard stand die Verwunderung über das Münchner Publikum: Die üblichen Verdächtigen der Neuen Musik, die gern über konservative Veranstalter lästern, hatten an diesem Abend offenbar Wichtigeres vor. Die um den Komponisten Wilfried Hiller und ein paar unermüdliche Klavierfreaks vermehrten Hörtnagel-Abonnenten verdauten tapfer bis weit nach halb elf diesen harten Brocken eines modernen Jesuleins.

Es ist schwierig, bei diesem zwischen katholischem Exerzizium, Lisztschem Etüdenzauber, Prokofjews barbarischer Wildheit und impressionistischem Sensualismus schillernden Werk über die Interpretation zu sprechen. Aimard machte den Weg von harten Dissonanzen zur hell strahlenden, romantischen Chromatik nachvollziehbar. Das Klavier irisierte in orchestralen Farben, die Dynamik war fein schattiert, der Franzose reizte seine Kraftreserven erst in den letzten Minuten wirklich aus. Anders gesagt: eine exemplarische Interpretation eines großen Werks der letzten 50 Jahre, die heftig bejubelt wurde.

Robert Braunmüller

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