Mit Verve ins Vergnügen

Ein Pionier der Reklame war Jules Chéret mit seinen fulminanten Plakaten. Die Villa Stuck zeigt jetzt das Werk des innovativen Lithografen
von  Christa Sigg

Mit ihrem Serpentinen-Tanz hat sie die Leute kirre gemacht. Und wo Loïe Fuller, dieser amerikanische Schleier-Tornado, in Paris über die Bühne gewirbelt ist, waren die Künstler nicht weit. Maurice Denis und Raoul Larche, Toulouse-Lautrec und – die Fuller müsste ihm heute noch dankbar sein – Jules Chéret (1836-1932). Selbst in Frankreich ist dieser Großmeister des Plakats etwas in den Hintergrund geraten. Jetzt erhält der ungemein innovative Lithograf endlich auch in Deutschland die erste umfassende Schau – in der Villa Stuck, und damit genau am richtigen Ort.

Tief dekolletiert locken die Plakat-Sirenen

Mag sein, dass es dem Franzosen im Prachtdomizil des Münchners zu düster gewesen wäre; er liebte es duftig, farbenfroh und hell. Aber der universale Gestaltungswille bis hin zu Draperieborten und Stuhllehnen dürfte ihn beeindruckt haben. Und das Hin und Her zwischen „hoher” und Gebrauchskunst war letzten Endes auch sein Thema. Mit dem Unterschied, dass Chéret anders als der akademisch geschulte Stuck vom Handwerk kam. Das Zeichnen vertiefte er zwar an der École Nationale de Dessin, doch eigentlich war er Autodidakt, der seinen Blick im Museum schulte. Besonders an den Großen der französischen Kunst.

Nicht nur seine Allegorien erinnern an Fragonard und Watteau, die blumenpflückenden Grazien könnten einem Schäferspiel aus Marie Antoinettes Versailler Miniaturbauernhof entsprungen sein. Und die Artisten sind späte Brüder von Tiepolos radschlagenden Akrobaten, kombiniert mit der in die Fläche zielenden formalen Strenge eines Hiroshige oder Hokusai. Trotzdem entwickelt schon der junge Chéret einen ganz eigenen Stil, eigene Typen. Die Weibsbilder, mit denen Lautrec berühmt wird, gehen letztlich auf seine offenherzigen Plakat-Feen zurück, tatsächlich wurden sie nach ihrem Schöpfer als „Chéretten” bezeichnet.

Illustrator der Belle Epoque

Schier rastlos zeichnet und entwirft er, ziert Notenblätter und Parfümetiketten mit erlesenem Dekor. Fängt Jacques Offenbach das Pariser Leben in seinen Operetten ein, so ist Chéret der Illustrator dieser mondän-glamourösen Zeit. Er führt vor Augen, wie es die Bürger krachen ließen zwischen Tanz, Theater und Champagner. Seine Litfaß-Heroinen preisen Apéritifs und zünden Lampen an. Seine Clowns laden ins Hippodrome, und die dunkle Miss Lala in die Folies-Bergère. Doch bei allem Marktgeschrei ging es diesem Belle Epoque-Matador immer auch um Nuancen. Für seine Bild-Finessen feilte er an der Technik, und durch die Reduktion der Drucksteine von bis zu 25 auf gerade mal drei sorgte er für einen rasanten Fortschritt und geringe Kosten.

Ende des 19. Jahrhunderts war Chéret der Superstar der neu aufgekommenen Plakat-Sammel-Manie, doch mehr und mehr wandte sich der „Tiepolo der Boulevards”, wie man ihn nannte, der Gestaltung von Interieurs zu. Bühnenvorhänge, Supraporten, Tapisserien etwa. Er schwelgt jetzt erst recht in lachs-petrol-gelben Pastellträumen und gefälligen Sujets, lässt allzu süßes Rokoko aufleben in den Villen seiner potenten Auftraggeber. Das mag zuweilen befremden. Dennoch tut's der Entdeckung dieses extraordinären Künstlers keinen Abbruch.

Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, bis 5. Februar, Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Katalog 39.80 Euro (Arnoldsche Art Publishers)

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