Mit Straps und Schwan
Der Norweger Stefan Herheim inszeniert Wagners „Parsifal“ am Grünen Hügel. Es ist keine Entdeckung weihrauchgeschwängerter Langsamkeit, sondern ein bilderbunter Marsch durch die deutsche Geschichte bis zum Bundestag.
Stefan Herheim steht unter Strom. Nichts Besonderes vor einer Premiere. Schon gar nicht, wenn einer Wagners „Parsifal“ stemmt – und das in Bayreuth. Doch die Gralsburg auf dem grünen Hügel öffnet sich so langsam wie stetig. Zum ersten Mal hatte die Presse ganz ohne Tricks und Undercover-Einsatz Zugang zu einer Hauptprobe. Und nach dem ersten Aufzug des Bühnenweihfestspiels, dem Blick also aufs allerheiligste und streng gehütete Geheimnis, stellte sich der interessanteste Bilderstürmer unter den jungen Opernregisseuren bereitwillig einer ganzen Meute von Journalisten.
Auffordernd blickt der Hügel-Newcomer in die Runde, Zeit für sein umwerfendes Zahnpasta-Strahlen. Die stahlblauen Augen scheinen mit jeder Anspannung nur noch intensiver zu leuchten, auch wenn Herheim beteuert „sehr, sehr müde“ müde zu sein. Dass so einer die Leute verschreckt, mag man sich nicht so recht vorstellen. Schon eher, wie er am Cello sitzt und sich irgendwas Vertracktes zwischen Brahms und Schostakowitsch vorknöpft – der Mann ist Berufsmusiker. Und geht vielleicht auch deshalb Bühnenstoffe so erfrischend offensiv an. Nach seiner Salzburger Dessous-„Entführung“, in der das Serail zur Beziehungskiste mutierte, flogen die Fetzen. In Essen wurde Schwerenöter Don Giovanni zu San Giovanni und trieb’s rasant überall in der Kirche.
Auch Herheims „Parsifal" ist keine Entdeckung weihrauchgeschwängerter Langsamkeit, dafür ein bilderbunter Marsch durch die deutsche Geschichte bis zum Bundestag. Selbst der Wagner-Clan darf bei der Suche nach Erlösung mitmischen, und Wahnfrieds Wahn wird wieder mal aufgearbeitet. Doch Herheim beteuert, dass das bei Wagners sehr gut ankam. Katharinas „Meistersinger“ sind von Bayreuth-Anspielungen ohnehin nicht frei.
Tatsächlich passt das zu einer neuen Ära. Und mehr noch zu einem Regisseur, der mit Vorliebe in politischen und sozialen Strukturen wühlt. „Natürlich ging es Wagner um die Demokratisierung der Kunst“, sagt er, „stattdessen kam es zu einer Versammlung arroganter wilhelministischer Protagonisten. Der Gral wurde immer wieder missbraucht, was in der Geschichte dieses Landes zu einer unglaublichen Katastrophe geführt hat.“
Dass sich dem Norweger in seiner beschaulichen Heimat „keine Entwicklungsmöglichkeiten boten“, kann man hier in Bayreuth vielleicht am besten verstehen. Einer, dem die Assoziationen im Dutzend durch die grauen Zellen jagen, der um keine noch so komplexe Antwort verlegen ist, braucht eine Plattform. Da hat das Marionettentheater aus seinen Anfangsjahren lange ausgedient. Trotzdem ist es für den 38-jährigen Götz-Friedrich-Schüler nicht der Plot, die gute Story, die ihn antreibt. In der Musik findet Herheim eine Dynamik, die nach Theatralisierung schreit.
Wie da die Zusammenarbeit mit Daniele Gatti, dem Mann im Graben, verlief? „Von Anfang an extrem schwierig“, gibt der Regisseur offen zu. „Wir hatten wirklich Angst voreinander, fühlten uns sehr fremd in unserem Theaterverständnis.“ Aber dann sei ein kleines Wunder passiert, denn „mit dem ersten Probentag begann eine ganz langsame Verschmelzung. Inzwischen könnte ich mir die Zusammenarbeit nicht glücklicher vorstellen.“
Dennoch macht ihm Gattis „getragenes, erhabenes Tempo ab und zu große Schwierigkeiten“. Es sei dann schwer, die Spannung zu halten. Wie ihm das gelingt, wird man heute sehen. Dem Ersatzgottesdienst, den manche Wagnerianer im „Parsifal“ suchen, hat Herheim jedenfalls eine klare Absage erteilt. Und die wird er nicht nur mit den Strapsen der Dietrich unterstreichen.
Christa Sigg