Mit päpstlichem Segen

Der ARD-Zweiteiler „Gottes mächtige Dienerin” verklärt Pius XII. in einem biederen Soutanenmelodram mit Christine Neubauer
Robert Braunmüller |
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Ein dumpfes Dröhnen erschüttert den Vatikan. Pius XII. schaut aus dem Fenster. Amerikanische Bomber überfliegen den Petersdom und zerstören ein Wohnviertel der Ewigen Stadt. Der Heilige Vater eilt mit Bargeld und Ärzten zu den Verwundeten. Die sinken auf die Knie, als sei Jesus selbst erschienen und nicht bloß sein Stellvertreter. Eine Statue des Papstes erinnert nahe der Kirche San Lorenzo fuori le mura heute an dieses Ereignis. Den rund 1000 römischen Juden hat Pius XII. dagegen im gleichen Jahr nicht geholfen. Sie wurden im Oktober 1943 nahe dem Vatikan für zwei Tage interniert und nach Auschwitz deportiert. Nur 19 überlebten.

Beide Ereignisse kommen in Marcus O. Rosenmüllers Zweiteiler „Gottes mächtige Dienerin” vor. Aber der Widerspruch entging dem Regisseur und Drehbuch-Mitautor. Er rechnet lieber unter der Hand Bombenkrieg und Holocaust gegeneinander auf. Diese Entgleisung kann deshalb schon kein Zufall sein, weil der Film im ersten Teil überdeutlich die Münchner Revolution von 1918 und den Hitlerputsch als zum Verwechseln ähnliche Metzelei hinstellt und zu allem Überfluss den unfähigen König Ludwig III. als netten Onkel verklärt.

Eugenio Pacelli mag es allerdings so gesehen haben. Er kam 1919 als päpstlicher Gesandter nach Bayern. Die Nonne Pascalina Lehnert führte ihm ab Mitte der 1920er Jahre den Haushalt. Christine Neubauer tritt hier schon früher in seine Dienste, aber das gehört zu den Freiheiten, die sich ein Film herausnehmen darf.

Noch ärgerlicher als die historische Naivität ist die Einfallslosigkeit dieses Soutanenmelodrams. Fast alle Episoden folgen dem gleichen Muster: Der Pius-Darsteller Remo Girone leidet mit Hundeblick an Magengeschwüren oder der Weltgeschichte. Irgendwann platzt die Neubauer herein und gibt Weisheiten wie „A guate Suppn hilft allerwei” zum Besten.

Das ist fast schon zu dämlich für die Pfarrfilmstunde, falls es dergleichen auf dem Land noch geben sollte. Natürlich hat auch Rosenmüller davon gehört, dass dieser Papst umstritten ist, weil er gegen den Holocaust nur so verklausuliert protestierte, dass es nicht einmal Hitlers Diplomaten verstanden. Der Film löst das Problem auf eine gut katholische Weise: Pius ringt mit seinem Gewissen und folgt ihm dann: „Wir müssten Worte des Feuers gegen derartige Greuel schleudern, aber was uns abhält, ist die Gewissheit, dass wir damit das Leid der Verfolgten nur verschlimmern.”

Wahrscheinlich trifft zu, dass der historische Pius XII. wie sein filmisches Ebenbild das Beispiel der niederländischen Bischöfe fürchtete. Sie protestierten 1942 gegen erste Deportationen. Zur Vergeltung verhafteten die Nazis vorläufig verschonte Juden mit katholischem Taufschein. Auf diese Weise kam die später heilig gesprochene Karmeliternonne Edith Stein in Auschwitz um.
Pius war nicht nach dem Martyrium zumute. Er wahrte als Diplomat im Krieg die machtpolitischen Interessen der Kirche und hoffte insgeheim auf eine Niederlage der gottlosen Sowjetunion. Im Oktober 1943, als die römischen Juden in Viehwägen abtransportiert wurden, ängstigten ihn „kommunistische Banden” des italienischen Widerstands mehr als die brutalen deutschen Besatzer.

Dergleichen fehlt bei Rosenmüller natürlich. Dafür wird suggeriert, die römischen Juden hätten Asyl in Kirchen und Klöstern erhalten. Die wurden allerdings erst unter dem Schock der ersten Deportation geöffnet. 4000 italienische Juden konnten so gerettet werden. Weil Schwester Pascalina an dieser Stelle des Films von Familienwerten schwatzt, sei nicht verschwiegen, dass sich die Kirche nach 1945 weigerte, inzwischen getaufte Kinder an ihre Eltern oder jüdische Hilfsorganisationen zurückzugeben.

Rosenmüller verschweigt auch, dass viele Kriegsverbrecher mit kirchlicher Hilfe über die Rattenlinie nach Südamerika entkamen. Im vor Kitsch triefenden Finale erinnert sich der sterbende Papst 1958 lieber an einen Aufenthalt am Königssee und fragt zugleich: „Was wird die Geschichte zu meinem Schweigen sagen?” Der Satz ist zwar echt, wurde aber schon 1941 gesprochen, ehe der Papst von der Judenvernichtung erfuhr. Selbstkritik passte kaum zum Amtsverständnis des Pacelli-Papstes, der absolutistisch und mit großem Gepränge herrschte und der Mensch gar nicht sein wollte, zu dem ihn dieser Film sentimentalisiert.

Wenn reaktionäre Katholiken Papst Pius XII. selig sprechen wollen, ist das ihre Sache. Doch Rosenmüllers Papstmesse wurde nicht nur vom Gebührenzahler finanziert, sondern über die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen und den FilmFernsehFonds Bayern auch mit Steuergeld. Und das schlägt dem Weihrauchfass den Boden aus.

Karfreitag und Karsamstag, 20.15 Uhr, ARD

Bücher über Pius XII.

Pius XII. liebte Deutschland und die Deutschen. Er handelte als Botschafter des Vatikan ab 1917 Verträge mit Bayern und später mit dem Deutschen Reich aus. Sie regeln bis heute das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und dem Staat. 1930 ernannte Papst Pius XI. Pacelli zum Kardinalstaatssekretär. Neun Jahre später wurde er sein Nachfolger. Er regierte bis zu seinem Tod 1958. Erst danach begann die Versöhnung der Kirche mit Gegenwart und Demokratie unter Johannes XXIII.

Wichtige Akten zum Handeln von Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs hat der Historiker Saul Friedländer bereits 1964 zusammengetragen, als nach der Uraufführung von Rolf Hochhuths Pius-Drama „Der Stellvertreter“ das Schweigen des Papstes zum Holocaust heftig diskutiert wurde. Sein grundlegendes Buch „Pius XII. und das Dritte Reich“ ist im Verlag C.H. Beck neu aufgelegt worden (231 Seiten, 14.95 Euro).
Die Deportation der römischen Juden erzählt der römische Journalist Corrado Augias in einem Kapitel seines Buchs „Die Geheimnisse des Vatikan“ (C.H. Beck, 496 S., 22.95 Euro). In dieser material- und anekdotenreichen Geschichte der Papststadt ist das perfide Papier des Heiligen Offiziums im Wortlaut nachzulesen, in dem verfügt wurde, getaufte und gerettete Kinder nach 1945 ihren jüdischen Eltern nicht zurückzugeben.

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