Mit jugendlicher Hingabe

Wenn der Star ruft, kaufen die Fans auch Karten für Abseitiges: Bei Salzburgs Pfingstfestspielen lud Riccardo Muti zum Vergleich zwischen Mozarts und Jommellis „Betulia liberata“
von  Abendzeitung

Wenn der Star ruft, kaufen die Fans auch Karten für Abseitiges: Bei Salzburgs Pfingstfestspielen lud Riccardo Muti zum Vergleich zwischen Mozarts und Jommellis „Betulia liberata“

Es gibt eine uralte italienische Rundfunkaufnahme dieser Musik des 15-jährigen Mozart. Flächig, dunkel und volltönend stürzt sich das RAI-Orchester Turin unter dem Dirigenten Mario Rossi auf die Ouvertüre von „Betulia liberata“, wie sich heute keiner mehr Musik des 18. Jahrhunderts zu spielen traut.

Doch halt, einen gibt es: Riccardo Muti. Das Orchestra Giovanile Luigi Cherubini pflegt einen ähnlichen Mischklang, nur spielen die Italiener eleganter als ihre Landsleute vor fast 60 Jahren. Muti hat dieses Jugendorchester ganz auf seine edelrunde Klangvorstellung eingeschworen. Die Musiker im Alter unter 30 Jahren setzten sie mit einer Perfektion um, die den Wiener Philharmonikern nicht nachsteht.

Dem Originalklang misstraut Muti fast noch mehr als dem Regietheater. Aber sein früher Mozart mit nachgedunkeltem Firnis wirkt immer noch frischer als die lahme Routine, die bei vielen Darmsaiten-Ensembles eingerissen hat. Bei den Salzburger Pfingstfestspielen hat der Neapolitaner außerdem ein von Christie, Gardiner & Co. vernachlässigtes Marktsegment erschlossen: Er lässt die Rokoko-Musik seiner Heimatstadt aufleben, die im 18. Jahrhundert mit ihren Konservatorien und Kastraten die Weltmusikmetropole war.

Rückwärts von Mozart aus und vorwärts von Bach und Händel her wirkt die Musik des galanten Stils ein wenig leichtgewichtig. Mutis Sound verhilft ihrem Ernst zu seinem Recht, wozu auch die Besetzung des Mozart-Oratoriums mit eher schweren Opernstimmen beitrug. Der junge Tenor Michael Spyres (Ozìa), Alisa Kolosova (Giuditta) und Maria Grazia Schiavo (Amital) sangen die mordsschweren Bravourarien des Salzburger Wunderknaben, als ob sie ganz leicht wären.

Wie ein barockes Gemälde

„Betulia liberata“ wurde im Haus für Mozart szenisch aufgeführt. Der Regisseur Marco Gandini gruppierte den Chor wie auf Barockgemälden, ließ ihn die Hände falten und bisweilen gen Himmel blicken. Mehr war nicht zu wollen, denn in Pietro Metastasios Version der Geschichte von Judith und Holofernes wird vor allem tugendhaft über Gott geschwafelt. Der assyrische Feldherrnwüterich tritt nicht auf und verliert seinen Kopf hinter der Bühne ohne jene erotische Zweideutigkeit, die barocke Maler an dieser Geschichte so brennend interessierte.

Am Pfingstmontag ermöglichte Muti dann noch einen reizvollen Vergleich: In der Felsenreitschule dirigierte er konzertant eine rund 30 Jahre ältere Vertonung des gleichen Metastasio-Textes. Während Mozart das Orchester am spröden Drama beteiligt, gehört es in der Musik des 1714 geborenen Niccoló Jommelli allein den Sängern, die hingebungsvoll lebendig von den wundervoll seidigen Streichern des italienischen Jugendorchesters begleitet wurden.

Allein der warm tönende Mezzo der Sopranistin Laura Polverelli und der mit kraftvoller Lyrik brillierende Dmitry Korchak lohnten den Besuch. Übertroffen wurden beide durch den erstaunlichen Countertenor Terry Wey, der mit gleißend heller, zugleich völlig natürlicher Stimme scheinbar mühelos die schwierigsten Koloraturen bewältigte.

Nächstes Jahr beendet Muti seine neapolitanischen Erkundungen mit „I due Figaro“ des ziemlich vergessenen Donizetti-Zeitgenossen Saverio Mercadante. Was immer da in den musikhistorischen Abgrund zwischen Mozart und Rossini gefallen ist: Der mehr als ordentliche Zuspruch der Pfingstfestspiele beweist, dass die Leute auch Abseitiges schlucken, wenn die musikalische Qualität stimmt und ein Star von Mutis Gewicht leidenschaftlich dafür einsteht.

Robert Braunmüller

Der Vorverkauf für 2011 ab heute online unter www.salzburgfestival.at

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