Mit großem Orchester

Der Franzose David Fray mag die historische Aufführungspraxis nicht, glaubt, dass sich Mozart dem wissenschaftlichen Zugriff entzieht und spielt gegen das Chopin-Jahresfieber an
von  Abendzeitung

Der Franzose David Fray mag die historische Aufführungspraxis nicht, glaubt, dass sich Mozart dem wissenschaftlichen Zugriff entzieht und spielt gegen das Chopin-Jahresfieber an

Das deutsche Repertoire zieht den Franzosen mächtig an. Was einige Kritiker so irritiert, dass dauernd der Papa – ein Kant-Forscher – als Erklärung herhalten muss. David Fray kann da nur lächeln. Er ist es gewohnt, dass es in Analysen ständig um seine Familie geht: Sein Schwiegervater ist Riccardo Muti. Im AZ-Gespräch besticht der Pianist mit einem eigenen Kopf. Und Charme.

AZ: Herr Fray, man sagt, Mozart ist etwas für junge Sänger…

DAVID FRAY: … und junge Pianisten?

Nein, alte Pianisten.

Was?

Denken Sie an Rubinstein. Er ist nicht der Einzige, der am Ende fast nur noch Mozart gespielt hat. Fühlen Sie sich alt genug für Mozart?

Ich bin nicht überzeugt, für irgend etwas reif genug zu sein.

Das ist doch mal eine gute Einstellung.

Denken Sie an Schubert. Man kann diese großen Gefühle, das Leid, den Schmerz in einigen Werken kaum fassen, wenn man 30 ist. Aber manchmal geht das genauso wenig mit 70 Jahren.

Also keine Frage des Alters.

Nein. Andernfalls wäre es ja ziemlich einfach: Man müsste nur ein bestimmtes Alter abwarten. Aber im Ernst, man kann das nicht nur am Komponisten festmachen. Es hängt viel mehr vom Stück ab und von der Persönlichkeit und Reife des Musikers. Wenn man sich gut genug kennt, weiß man, wann es Zeit ist für eine bestimmte Beethoven-Sonate oder ein Mozart-Konzert. Und wenn's zu früh ist, legt man es einfach beiseite. Man muss es natürlich auch ausprobieren. Und man muss sich einfach gut kennen, spüren, ob eine bestimmtes Werk zu den eigenen Fähigkeiten passt. Das ist manchmal eine Frage des Moments.

Verlassen Sie sich auf Ihren Sensus?

Sicher. Aber sehr oft habe ich genau die Stücke gewählt, die mich herausgefordert haben, vor denen ich eine regelrechte Scheu hatte. Man braucht diese Hürden, sonst kann man nicht wachsen. Und wenn es nicht läuft, muss man eine Sache erstmal beiseite legen.

Mozart gibt sich oft leichter als er dann ist.

Allerdings. Schlicht, frisch, natürlich, klar. Dabei ist er der Schwierigste überhaupt. Man ist nackt, bei Mozart ist man ziemlich nackt, dagibt es nichts, hinter dem man sich verstecken könnte.

Was ist also wichtig?

Das Entscheidende steht nicht in der Partitur. Denken Sie allein an die Dynamik-Angaben. Da gibt es forte und piano – und dazwischen ist nichts, das müssen Sie sich dazudenken. Wir leben in einer Zeit, die sich dauernd um Objektivität bemüht. Und ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich ein Fortschritt ist. Gut, für den Herausgeber einer kritischen Ausgabe, für den Wissenschaftler sicher. Aber als Musiker kommt man damit nicht weit. Was ist schon objektiv, ein Forte? Oder ein Allegretto moderato?

Ihr Mozart auf der CD klingt empfindsam, auch in einem romantischen Sinne.

Bezogen auf die Epoche wäre das nicht Mozart. Wenn Sie damit einen sehr expressiven Mozart meinen, dann ja. Das haben mir auch viele Leute zu meinem Bach gesagt. Für die Mozart-Konzerte habe ich bewusst ein großes Orchester gewählt. Nicht wie heute üblich ein Kammerensemble. Ich wollte zu einer anderen Ästhetik zurück gehen. Und mir ist klar, dass das manchen Leuten nicht gefallen wird. Viele wollen das mit alten Instrumenten hören, was völlig legitim ist. Aber wir haben eben verschiedene Möglichkeiten.

Sie hadern mit der historischen Aufführungspraxis?

Nein, warum auch? Nur könnte ich schwerlich verbergen, dass das nicht wirklich nach meinem Geschmack ist. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass man unabhängig von der Wahl der Ästhetik eine Wahrheit des Stückes finden kann. Eine von vielen. Nehmen wir Gustav Leonhardt. Obwohl er eine gänzlich andere Ästhetik wählt, spielt er wundervoll!

In diesem Jahr setzen alle auf Chopin. David Fray spielt lieber Mozart.

Es ist wirklich der dümmste Grund, einen Komponisten zu spielen, weil er Geburtstag hat. Außer er ist unbekannt und man möchte etwas für ihn tun.

Christa Sigg

Heute, 20 Uhr, im Prinzregententheater. David Frays Mozart-CD bei EMI/Virgin

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.