Mit Doppeldecker ins Mittelalter

Zaubersprüche, Dudelsäcke und Konzertsocken im Nightliner – zum Erscheinen ihres Albums „Sterneneisen” plaudern In Extremo über den eigenwilligen Kosmos ihrer Band
von  Christian Jooß

Noch etwas angeschossen von der letzten Nacht, in der das neue Album von In Extremo in einer Schwabinger Bar vorgestellt wurde, sitzen Michael Rhein und Florian Speckardt am Küchentisch ihrer Promoterin. Rockmusik geht an die Substanz – aber dafür sind der Sänger und der Schlagzeuger ausgewiesene Experten. Eben erschienen ist ihr Album „Sterneneisen” (Universal).

AZ: Herr Rhein und Herr Speckardt, „die Freiheit ist, was wir lieben”, heißt es in „Zigeunerskat”. Wie sieht die Freiheit der Band aus?

MICHAEL RHEIN: Wir ziehen seit Jahren durch die ganze Welt, treiben Schabernack und können davon leben. Wie viel Freiheit gibt’s denn noch?

Da zahlt man doch auch seinen Preis?

FLORIAN SPECKARDT: Wenn jemand ein Sesselpuper ist, sollte er nicht Musiker werden. Viele Leute können sich nicht vorstellen, was in so einem Nightliner los ist. Da darf es dich nicht stören, wenn vor deiner Koje die Konzertsocke von deinem Kollegen liegt.

Das letzte Album war wochenlang auf Platz eins der Charts. Setzt man sich da unter Erfolgsdruck?

M.R.: Es wäre gelogen, wenn man nein sagen würde. In der heutigen Gesellschaft ist das Schwierig, wenn einer als zweites in Ziel kommt, wird er schon gar nicht mehr erwähnt. Finde ich furchtbar.

In einem Song habt Ihr Perkussioninstrumente aus Schrott eingeführt.

F.S.: Beim Titelsong „Sterneneisen”.

Gab’s weitere Neuzugänge?

M.R.: Wir haben viel Hackbrett benutzt. Auf der Bühne ist das schwer zu machen, weil du dich an diesem Ding erst einmal einen halben Tag dumm und dämlich stimmst. Und wir haben unsere alten Instrumente genommen von Flöten bis Hupen.

Das ist doch eine klangtechnische Herausforderung?

M.R.: Du bist durch den Dudelsack auch harmoniebeengt. Deswegen haben wir mehrere Säcke. Nicht nur A-, sondern auch C- oder E-Säcke. Die ersten Platten haben wir allerdings auf A gemacht. Trotzdem klingt jedes Lied anders.

Wie war die erste Begegnung mit den Mittelalter-Klängen?

M.R.: Ich habe zwölf Jahre auf mittelalterlichen Märkten gespielt, vier Jahre mit mittelalterlichen Jungs Straßenmusik gemacht. Als ich zum ersten Mal so etwas gesehen habe, das war 1989. 1991 habe ich zum ersten Mal bei einer Mittelalterband mitgespielt. Drei Wochen später hatte ich eine eigene Band.

In einem Song singt Ihr einen Zauberspruch.

M.R.: Wir haben auf jeder Platte einen Zauberspruch. Das ist der siebte. Die Sprache ist Estländisch. Das Ding ist 1500 bis 2000 Jahre alt. Ich bin durch Zufall einmal an die Aufzeichnungen aus dem 17., 18. Jahrhundert herangekommen. Es gibt ja auch in Deutschland die Merseburger Zaubersprüche. So was gibt es auch in vielen anderen Ländern. Sinngemäß geht es in unserem Spruch gegen alle Lästerzungen.

Lebensberatung?

M.R.: Lebensbejahende Weisheiten. Es gibt auch Zaubersprüche in denen Teufel vorkommen. So was wollen wir gar nicht anfassen.

Ein Hang zum Magischen?

M.R.: Mit Sicherheit.

Praktiziert Ihr das auch selber?

M.R.: Nein. das wäre einen Schritt zu viel. Aber sich damit zu beschäftigen, ist reizvoll und wertvoll.

Die Macht der Worte?

M.R.: Vielleicht hältst du mich auch für einen Spinner. Aber bei allen Zaubersprüchen kann ich eine Stimme singen, die kann ich normalerweise gar nicht singen.

Der Graf von Unheilig singt bei einem Lied mit.

M.R.: Ich kenne den schon seit 13, 14 Jahren, als er noch in Clubs vor 30, 40 Leuten gespielt hat. Wir hatten ein Ding, auf das ich dachte, der Graf könnte passen. Ich hab ihn angerufen, er hat ja gesagt. Fertig.

Kommt man da nicht in den Verdacht des Kommerziellen?

M. R.: Natürlich ist da ein Hintergedanke dabei. Aber wir sind mit einer ganz anderen Single herausgekommen.

Christian Jooß

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