Mit Don Quijote durch Anatolien

Der Künstler Sener Özmen verbringt als Stadtschreiber den Juli in München. Am Mittwoch stellt er seine ersten Betrachtungen im Literaturhaus vor.
von  Abendzeitung

Der Künstler Sener Özmen verbringt als Stadtschreiber den Juli in München. Am Mittwoch stellt er seine ersten Betrachtungen im Literaturhaus vor.

Diyarbakir in Südostanatolien klingt vielleicht nicht wie der Hot Spot des internationalen Kunstmarktes, aber man kann es auch von hier aus schaffen. Der kurdische Künstler und Schriftsteller Sener Özmen hat seine Heimat weit abseits des boomenden Istanbuls bereits 2003 in einer Videoarbeit thematisiert. Zwei Männer reiten auf Pferd und Esel durch die karge Landschaft, die Parallelen zu Don Quijote und Sancho Pansa sind überdeutlich. Der Titel „Road To Tate Modern“, welche die beiden Reiter in der Peripherie natürlich nicht finden, erweist sich Jahre später als gar nicht mehr so ironisch: „Ich habe von der Tate Modern inzwischen ein Angebot bekommen, die möchten das Video kaufen“, sagt der 37-Jährige entspannt auf der Terrasse des Gästehauses am Englischen Garten. „Aber das ist natürlich auch eine Gefahr, wenn man als Künstler immer mit einer Arbeit in Verbindung gebracht wird.“

Diese Videoarbeit war quasi die Eintrittskarte in die internationale Kunstwelt, inzwischen fahren Kuratoren auch bis Diyarbakir – auf der Suche nach Ideen aus diesem schwierigen, aufregenden Land, das in diesem Jahr als Gast der Frankfurter Buchmesse ganz besondere kulturelle Aufmerksamkeit bekommt.

Im Rahmen des deutsch-türkischen Stadtschreiberprojekts verbringt Özmen den Juli in München, ähnliche Projekte haben ihn Jahre zuvor schon nach Hessen und ins Ruhrgebiet geführt. „Damals habe ich von meinem Recht auf Faulheit Gebrauch gemacht“, sagt Özmen und grinst – die Ironie ist sein ständiger Begleiter.

In München jedoch hat er schon Betrachtungen verfasst, die er am Mittwoch im Literaturhaus vorstellt. Aber er weiß auch, dass er vor allem etwas vermitteln muss über den Zustand seines Landes, in dem gerade das Verfassungsgericht die Regierungspartei verbieten möchte: „Wir haben in der Türkei als Künstler gar nicht die Möglichkeit, sich wie in Westeuropa mit allgemeinen oder aktualitätsfreien Themen zu befassen. Die Kunst bei uns ist viel politischer.“ Und – auch wenn westliche Medien gerne das Gegenteil behaupten: „Es gibt keinen politischen Druck, auf kurdische Künstler schon gar nicht.“

Als sich 1839 das Osmanische Reich öffnete, wurden viele Künstler nach Westeuropa geschickt, um zu lernen. Diese Entwicklung hielt auch in den Gründerjahren der türkischen Republik an. Heute bringt Özmen die Haltung seiner Freunde auf den Punkt: „Es muss nicht immer der Westen sein.“ Als Verleger hat er selbst Schriften eines kurdischen Philosophen aus dem 18. Jahrhundert publiziert. In seinen eigenen Texten tanzt er natürlich zwischen Ost und West: Abdülbaki Readymade heißt seine literarische Figur, die in der Erzählung „Tracey Emin“ eben jene „verwöhnte Tochter der britischen Kunstmoderne“ entführen möchte.

Identitätsprobleme kennt der Mann trotz seiner Ausritte durch (mindestens) drei Kulturen nicht: „Ich gebe jetzt mal eine klassische Antwort: Ich fühle mich als internationaler Künstler, aber die geographische Last, die ich tragen muss, spüre ich natürlich überall“, sagt Özmen und lacht wie immer vollkommen befreit.

Volker Isfort

Sener Özmen stellt seine Arbeiten heute im Literaturhaus vor (20 Uhr) und diskutiert mit Petra Morsbach, die als Stadtschreiberin im anatolischen Kars war, und Türkei-Korrespondent Kai Strittmatter

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