Mit dem Holzlöffel
Eine konzertante Aufführung hätte auch gereicht: Hans Neuenfels nahm Giovanni Simone Mayrs Belcanto-Oper „Medea in Corinto“ zum Vorwand für ranzige Regietheater-Besserwisserei
"Bravo Simone!“, rief ein wild entschlossener Fan des Wahlitalieners aus Mendorf bei Ingolstadt. Zu Unrecht vergessene Werke in Ehren, aber es hat schon seine Gründe, wenn Komponisten im Kampf ums Repertoire-Dasein unterliegen und den Rückzug ins musikwissenschaftliche Seminar antreten.
Giovanni Simone Mayrs „Medea in Corinto“ ist ein Dinosaurier der Opera seria des 18. Jahrhunderts. Die Logenbesitzer des Teatro San Carlo in Neapel konnten 1813 zu dieser hübschen Musik in aller Ruhe ihr Eis schlecken. Leider handelt die Oper von Medea, die sich am treulosen Jason rächt, indem sie die gemeinsamen Kinder mordet. Da wirkt Mayrs aristokratische Noblesse unangebracht.
Wohlfeil kritisiert
Hans Neuenfels fühlte diesen Widerspruch. Er ersetzte die muntere Ouvertüre durch einen wilden Schrei. Ihre Reste wurden später zu einer ironischen Textprojektionen nachgeholt, wie dies der Regisseur seit einiger Zeit liebt. Auch sonst holte er bewährte Einfälle aus seiner Kruschtelkiste. Der Ehekrach wurde wie in der legendären „Aida“ am Küchentisch ausgetragen, die von einer Struwwelpeter-Gouvernante behüteten Kinder spielten Ball wie in der „Fledermaus“. Gratismutiger Pazifismus war Ehrensache: Zu Jasons Siegesgesang erschienen die aus tausend Neuenfels-Inszenierungen bekannten Kriegsversehrten.
Um die sanfte Creusa (Elena Tsallagova) von Emanzipationsgedanken abzuhalten, wurden abschreckungshalber öfter ein paar korinthische Jungfrauen abgestochen oder massenvergewaltigt. Neuenfels servierte mit dem Holzlöffel viel kritischen Senf zu einer Wurst, deren Haltbarkeit längst überschritten ist. Eine Begründung, warum diese Oper szenisch aufgeführt werden muss, fand er ebenso wenig wie vor einem dreiviertel Jahr sein Kollege David Alden im Theater St. Gallen.
Musikalisch gelungen
Nun die gute Nachricht: Wie es sich für eine Opera seria gehört, triumphierte der Gesang über die läppische Handlung. Ramon Vargas (Giasone) und der fast noch bessere Alek Shrader (Egeo) übten sich in Tenorbravourgesang. Nadja Michaels Stimme flackert, tönt überlaut-schrill, und der S-Fehler ist auch nicht wirklich schön. Weil sich die Sängerin rückhaltlos mit ihren Rollen identifiziert, versteht sie es, solche Mängel in dramatischen Ausdruck umzumünzen. Die beste Szene der Oper, Medeas Unterwelt-Beschwörung, gelang ihr dank einer gewissen Zurückhaltung höchst eindrucksvoll.
Ivor Bolton und das Bayerische Staatsorchester ließen die Musik nicht einfach abschnurren. Sie hauchten jedem Takt dramatisches Leben ein. Das im Filzpantoffelstil komponierte Finale konnten sie auch nicht retten: Obwohl Kreusa und Medeas Kinder längst ermordet sind, muss Jason und sein Schwiegervater umständlich vom Chor zu Taten aufgefordert werden. Für die Dämonie der im Drachenwagen flüchtenden Medea fehlten dem lieblichen Mayr die Töne. Einmal blitzt eine Piccoloflöte auf, und das war’s auch schon.
Ein unterkühltes Finale ist aber das Schlimmste, was einer Oper zustoßen kann. Auch Anna Viebrocks Schlussgag rettete nichts: Sie türmte Hitlers Reichskanzlei auf die Eingangshalle einer Siebziger-Jahre-Sparkasse, krönte das Monstrum mit einem antiken Fries und setzte noch ein Häuschen mit einer darin verborgenen Quadriga drauf. Wer genau hinschaute, sah es am Ende wegfliegen.
Das zitiert übrigens Restaurierungsarbeiten am Wiener Parlament. Nur: Was soll uns weltläufigen Münchnern dieser Einfall sagen? Hätten Ivor Bolton und Nadja Michael doch ihre Energie auf Luigi Cherubinis „Medea“ verwandt: Die ist älter als Mayrs Oper, auch nicht unproblematisch, aber dreimal aufregender als dieser vergreiste Seria-Hut.
Robert Braunmüller
Wieder am 10., 13., 16., 20. und 29. 6. im Nationaltheater. Karten: Tel. 2185 1920