Mit "Barbie" wird Greta Gerwig zur Wonder Woman
Vielleicht liegt die Faszination von Greta Gerwig auch daran, dass sie eben keine glattes pinkes Hollywoodprodukt ist - obwohl sie sogar aus dem Sunshine-State Kalifornien stammt, wo sie vor 40 Jahren in Sacramento geboren wurde.
Um sie als Schauspielerin, Drehbuchautorin, Filmregisseurin und Produzentin verstehen zu können, braucht man den Begriff Mumblecore. Es ist eine Filmbewegung in den USA, die genau das Gegenteil Hollywoods ist: Mit kleinen Budget, die noch unter der Linie von Independent Filmen liegen, werden Filme gedreht, bei denen Dialoge improvisiert und auch Laiendarsteller eingesetzt werden, um eine große Echtheit zu erzeugen. Und meistens geht es um Lebensreflexionen und Beziehungsprobleme von Außenseitertypen, wobei persönlichen Erfahrungen der Regisseure und Schauspieler eingebaut sind.
Vom Mumblecore-Film zum Blockbuster ist es normalerweise ein weiter Weg, aber Greta Gerwig hat sich mit ganz wenigen Filmen fast schon an die Spitze der Hollywood-Regisseurinnen gestellt. Seit Donnerstag hat Gerwigs "Barbie"-Film weltweit 356 Millionen Dollar eingespielt und wenn der Hype nicht schnell verflacht, trauen ihr Analysten zu, Patty Jenkins' "Wonder Woman" vom Thron zu stoßen, der 2017 stolze 822 Millionen Dollar weltweit einspielte. Die Fortsetzung drei Jahre später erfüllte dann mit 169 Millionen Dollar die Erwartungen nicht mehr.
Eine Zäsur in Gerwigs unaufhaltsamen Aufstieg vom Indie-Star und Repräsentantin ihrer orientierungslosen Generation zur Hollywood-Queen mit "Barbie" war Gerwigs erster Mainstreamfilm 2009: Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach war auf die sehr spezielle Gerwig aufmerksam geworden und besetzte sie in seiner Tragikomödie "Greenberg" neben Ben Stiller. Gerwig spielt hier eine Haushälterin, die in ihrem chaotischen Privatleben von einer Karriere als Sängerin träumt.
Der Film spielte zwar nur 6 Millionen Dollar ein, aber Baumbach und Gerwig blieben seitdem kreativ und privat verbunden. Die beiden schrieben das Drehbuch zur gefeierten Komödie "Frances Ha", Baumbach führte Regie und Gerwig spielte die Hauptrolle.
Ihre erste große Regiearbeit, natürlich nach ihrem eigenen Drehbuch, war dann 2017 "Lady Bird", in der Saoirse Ronan umwerfend eine 17-Jährige verkörpert, die ein wenig quer zu ihrem eigenen Leben steht. Der Film spielte nicht nur erstaunliche 78 Millionen Dollar ein, er erhielt auch fünf Oscarnominierungen, drei davon in den "Königsdisziplinen" (Regie, Drehbuch, Hauptdarstellerin). Greta Gerwig war nun in Hollywood eine große Nummer, schließlich hatte sie "Lady Bird" auch noch selbst produziert.
Nun konnte sie eine Romanverfilmung in Angriff nehmen, die ihr schon immer am Herzen lag: "Little Women" von Louisa May Alcott.
Einen Originalitätspreis bekommt man dafür nicht, die Vorlage aus dem Jahr 1868 wurde bereits ein knappes Dutzend Mal verfilmt, 1994 sehr erfolgreich als "Betty und ihre Schwestern" mit Winona Ryder, Kirsten Dunst, Claire Danes und Christian Bale. Wie sollte man das toppen?
Doch Gerwigs Blick auf die Zwänge und Nöte von jungen Mädchen auf der Schwelle zwischen Jugend und eigenständigem Leben faszinierte das Publikum erneut. Der mit Stars wie Saoirse Ronan, Emma Watson, Florence Pugh, Laura Dern und Mery Streep besetzte Film spielte 218 Millionen Dollar ein und wurde für sechs Oscars nominiert, auch für das beste adoptierte Drehbuch. Das war schon Gerwigs dritte (ungekrönte) Oscarnominierung.
Kein Wunder, dass Margot Robbie, die mit Warner Bros. die Filmrechte für "Barbie" erworben hatte, zuerst an Gerwig als Drehbuchautorin dachte. Und so begann - mit ihrem Lebensgefährten als Ko-Autor - die Reise ins pinke Reich der Fantasie: nach Barbieland.
Etwas befremdend dagegen erscheint das nächste Projekt von Gerwig: die Verfilmung der "Narnia-Croniken" des Fantasyautors C.S. Lewis für Netflix. Die drei Kinofilme liefen nicht gut genug, sie weiter fortzusetzen. Aber Greta Gerwig ist ja Hollywoods "Wonder Woman". Adrian Prechtel/
Volker Isfort